Hier zeigt sich die entscheidende Inkonsequenz und Widersprüchlichkeit eines jeden Atheismus.


Er befiehlt uns einerseits – gerade, wenn er sich in ein wissenschaftliches Gewand hüllt –, zu glauben, dass alles in der Welt rational erforschbar sei. Andererseits verbietet er unserer Vernunft, nach dem letzten Grund dieser in allen ihren Einzelaspekten so intelligent strukturierten Welt zu fragen. Der Vernunft wird hier künstlich Einhalt geboten. Man kann natürlich alles Seiende, d.h. alles Wirkliche und Wahrhafte im Menschen und in der Welt, und alle innerweltlichen Ursachen und Kausalgesetze einfach als zufällig, ohne letzten Grund daseiend und soseiend bekennen, aber man verzichtet damit auf eine Letzterklärung der Welt, die nun zu einer undurchdringlich dunklen, brutalen Tatsache wird. Gott ist in der Tat das Urprinzip einer objektiven Sinnhaftigkeit der Welt. Die eigentliche Alternative für ein konsequent den Dingen auf den Grund gehendes Denken lautet etwa: „Gott oder eine – z.B. auf Grund der vermeintlich alles erklärenden verabsolutierenden Entwicklung – sich selbst genügende Welt“, sondern „Gott oder die Sinnlosigkeit“ trotz des scheinbaren, aber ohne ein absolutes Denken, Planen und Wollen eben nur scheinbaren Sinnes in der Welt; „Gott oder der Ur-Zufall“ trotz aller weiteren kausalgesetzlich ablaufenden Prozesse. Denn auch die in der Welt herrschenden Kausalgesetzlichkeiten und die Urstruktur und Uranlage des Universums sind ohne ein absolutes Geistprinzip, das sie so gedacht, geplant und realisiert hat, eben nur zufällig so (vernünftig geordnet, sinnvoll u.ä.), wie sie sind; sie sind dann bloße, undurchdringliche, unaufhellbare, weil nicht weiter erklärbare Faktizität. Gott ist also nicht etwa ein Störenfried oder überflüssiger Faktor in einer vermeintlich in allen Hinsichten und auf jeder Ebene sich selbst genügenden und erklärenden Weltentwicklung, sondern im Gegenteil der letzte Ermöglichungsgrund ihres Sinnes.
Zwar könnte jemand behaupten, dass die Welt eben zufällig da sei und zufällig so beschaffen gewesen sei, dass sie eine günstigen Grundlage und Anlage für durchaus bestimmte Arten und Richtungen von Entwicklungen gewesen ist, deren Ergebnisse wir heute vor uns sehen (man denke an die zumindest als Phänomen feststehenden orthogenetischen Entwicklungsabläufe, die 9/10 aller paläontologisch festgestellten Entwicklungen überhaupt ausmachen); ferner dass es zufällig Kausalität, also vernünftigen, nie unterbrochenen, keine Ausnahmen duldenden Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung gebe, dass es zufällig hochkomplizierte Kausalzusammenhänge, komplexe kausale Spezialgesetzlichkeiten (z.B. biologische) gebe. Gegenüber dieser Behauptung muss man zu bedenken geben, dass ein solcher Umfang an immer wieder gesetzmäßig eintretender Ordnung und Organisation in Systemen auf allen Stufen: von der Struktur der Atomkerne zu der der Atome, der Kristalle, der Eiweißkörper und so fort doch nicht zufällig sein kann. Es fußt dann die Annahme bloßer Wirkursachen und bloßer Kausalgesetze als letzterklärende Instanz der Welt und Weltenentwicklung auf irrationalen Grundlagen. Man muss es als Rätsel oder als Zufall bzw. als einfach hinzunehmende Tatsache betrachten, dass etwas (eine Welt) da ist und nicht nicht ist, dass diese Welt so und nicht anders beschaffen ist, dass die Materie solche und nicht andere Grundeigenschaften hat, solchen und nicht anderen physikalischen Gesetzen gehorcht, dass es Wirkursachen und komplexe Kausalgesetzlichkeiten gibt. Sollte es sogar möglich sein, die komplizierten und ganzheitlichen Kausalzusammenhänge, wie z.B. die biologischen Organisationsgesetze, auf ursprünglich einfachere Kausalgesetzlichkeiten zurückzuführen, was nicht wahrscheinlich ist, so wären doch diese letzteren ohne die Möglichkeit weiterer Erklärungen als irrationales Faktum einfach hinzunehmen. Eine Welt steht solcherart vor uns, in der Rationales und Irrationales, (scheinbarer) Sinn und Sinnlosigkeit seltsam verkettet sind, so jedoch, dass die letzte „tragende“ Grundlage von allem irrational, sinnlos, vernunftlos ist, so dass auch das Rationale, Sinnvolle in ihr letztlich als zufällig zu gelten hat. Materie und Energie sind in ihrem Dasein und ursprünglichen Sosein und in ihren Wirkgesetzen für den Atheismus nicht weiter erklärbar, als pure Faktizität einfach anzuerkennen, für die Vernunft, die an alle Dinge die Warum-Frage stellt und der hier künstlich Einhalt geboten wird, das Rätselhaft-Dunkle, Sinnlose und Zufällige schlechthin.
Mit unabweisbarer Folgerichtigkeit erweist sich so der weltplanende weltsetzende, weltumfassende, Welt auf ein Ziel hin ausrichtende Gott als die notwendige Voraussetzung der Rationalität und Durchlichtetheit alles Seins, als die unabdingbare Voraussetzung einer sinnvollen Welt von „Sinn in Welt“, als die letzte metaphysische, nichtempirische Bedingung der Wissenschaft, als die eigentliche Abwendung und Überwindung des Ur-zufalls. Der Mensch, im Atheismus letztlich sinnloser Höhepunkt einer sinnlosen Welt und Weltenentwicklung, wird so – d.h. im Falle der von der Vernunft geforderten Anerkennung eines absoluten, schöpferischen Grundes, eines die Welt nicht im fertigen, vollendeten Zustand setzenden, sondern auf Vollendung durch Eigenentwicklung anlegenden Schöpfergottes – wieder der sinnvolle Zielpunkt einer sinnvollen Entwicklung auf der Grundlage der Schöpfung. Es zeigt sich, dass die eigentliche, endgültige Alternative nicht lautet: „Gott oder ein wissenschaftliches (kausal erklärendes) Weltbild“, sondern „Gott oder der Zufall“. Von allen Formen atheistischer Weltanschauung gilt, dass sie – auf ihre letzten Grundlagen hin überprüft – Systeme sind, die sich über dem Abgrund der Sinnlosigkeit und des Zufalls erheben. Wenn der Atheist sich das klar gemacht hat, so steht er wiederum vor der endgültigen und radikalsten Alternative: „Gott oder der Zufall“. Die Wahl Gotte bedeutet dann nicht weniger als das Ja zu aller Wirklichkeit und zu all ihren Gründen; die Wahl des Zufalls als „Ursache“ der Welt aber die schleichende Entwertung auch noch des Welt- und Menschseins. „Gott oder das Nichts!“
Es gibt viele Atheisten, die weit davon entfernt sind, die letzte Konsequenz der Leugnung eines Grundes der Welt zu bemerken. An die Stelle des von ihnen verworfenen Gottes rückt automatisch ein innerweltlicher Wert, dem sie nun ihre Opfer darbringen, wie sie sie einst Gott dargebracht haben. Im Grunde hat sich für ihre Existenz nichts verändert. Hier haben wir es also nicht mit wirklichem Atheismus zu tun, sondern mit einem naiven Pantheismus. Nietzsche, Satre und manch anderer tiefersehende Atheist haben sich die bereits erwähnte Konsequenz zum Bewusstsein gebracht: sie heißt Relativismus. Wenn es keinen absoluten Grund der Welt gibt, dann fehlt ein letztes Bezugszentrum der Werte und Wahrheiten. Es gibt keinen festen Orientierungspunkt mehr in der sich widerstreitenden Mannigfaltigkeit der Werturteile und -tendenzen des Individual- und Soziallebens. Deswegen sagt Nietzsche nach der von den Menschen vollbrachten Tat des Gottesmordes: „Wohin bewegen wir uns (nun)? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts?... Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?“ Nicht so anschaulich, aber nicht weniger deutlich drückt es Satre aus: Es gibt „nichts a priori Gutes“, „alle Geländer und Schutzwehren zerbrechen“, „nichts, absolut nichts rechtfertigt mich, diesen und nicht jenen Wert, diesen und nicht jenen Wertmaßstab mir zu eigen zu machen“.
Nietzsche hat auch mit der ihm eigenen unheimlichen Scharfsicht diesen allgemeinen Wertrelativismus als Nihilismus erkannt. Wo nämlich jeder seine Werttafel willkürlich setzen kann, wo für den einen gut ist, was für den anderen schlecht ist, weil jeder Mensch nach dem Tode Gottes sich selbst das höchste Wesen ist und deshalb seine Wahl die letzte Begründung der Werte und ihrer Rangordnung bildet, dort muss schließlich ein tödliches Misstrauen, eine lähmende Skepsis den Werten gegenüber aufkommen, dort gelangt man zur Einsicht, wie wenig Verlass auf sie ist, wie wenig sie im Stande sind, der menschlichen Existenz einen tragfähigen Sinn zu verleihen.
Dieser Wertskeptizismus, dieses Nichts an wirklich tragfähigem Sinn und an in allen Lebenssituationen sich durchhaltender Bedeutsamkeit eines Wertes, aber ist Nihilismus. „Was bedeutet Nihilismus? Dass die obersten Werte sich entwerten. Es fehlt das Ziel; es fehlt die Antwort auf das ‚Warum?‘ Der radikale Nihilismus ist die Überzeugung einer absoluten Unhaltbarkeit des Daseins, wenn es sich um die höchsten Werte, die man anerkennt, handelt (Nietzsche). Der Atheist, der den Nihilismus als letzte Folge der Leugnung Gottes als des Grundes der Welt erkannt hat, ist der ernüchterte und kritische Atheist im Unterschied vom naiven, von dem weiter oben kurz die Rede war.
Der kritische Atheist bleibt allerdings selten beim Nihilismus, „diesem unheimlichsten aller Gäste“ stehen. Sowohl Nietzsche als auch Satre und auf seine Weise auch Camus werden schließlich zu kritischen Panteisten, die auf dem Unter- und Hintergrund des Nihilismus als der Konsequenz der Leugnung Gottes ein neues Wertsystem mit einem höchsten Prinzip aufbauen: bei Nietzsche ist dieses Prinzip einer neuen Wertsetzung der vergöttlichte Wille zur Macht, bei Satre die vergöttlichte Freiheit, bei Camus die vergöttlichte metaphysische Revolte, der heroische Kampf gegen die Absurdität des Lebens.
Diese Männer sind kritische Pantheisten, weil sie wissen, dass ihr Pantheismus, aufgebaut auf dem nicht tragfähigen Grund des Nihilismus, als tragischer, letztlich scheitender ist. Ganz deutlich ist dies bei Camus zu sehen in der Art, wie er die unsagbare, aber nie zum Ziel gelangende Mühe des Sisyphos, des „Helden des Absurden“ zeichnet, der das Symbol aller metaphysischen Revolte darstellen soll. Aber auch Nietzsches so genannter „aktiver Nihilismus“, der ihm ein „Zeichen der gesteigerten Macht des Geistes“ ist, weiß um die Tatsache, dass die Wahrheiten und Werte, deren Quelle der Wille zur Macht ist, nur noch „perspektivische Scheinbarkeit“ sind, etwas, dem „keine Realität entspricht“. Wahrheit ist ihm nur noch „die Art von Irrtum, ohne welche eine bestimmte Art von lebendigen Wesen nicht leben könnte“. Und auch für Satre ist der Mensch letztlich unerfüllbare Begierde, Gott zu werden. Es ist eine „passion inutile“ (nutzlose Leidenschaft), weil er nie wirklich zum Sein kommt, weil schon die Möglichkeit, nein zu sagen, beweist, dass das Nichts „ununterbrochen anwesend ist, in uns und außer uns, das heißt, dass das Nichts das Sein heimsucht“, dass es „auf dem Boden des Seins nichtet… mitten im Sein selbst, in seinem Herzen, wie ein Wurm“. Der Mensch nichtet als Fragender sich selbst, „indem er sich vom Sein losreißt“. Fragend wird er „sich selbst zu seinem eigenen Nichts“, belastet er sich selbst mit Nicht-Sein“ und lässt so „das Nichts in der Welt anbrechen“.
Das Scheitern des kritischen Pantheismus beweist nochmals, dass Gott der unentbehrliche Seins- und Sinngrund der Welt und des Menschen ist. So können wir abschließend über Gott als Grund der Welt mit H. Fries sagen: „Als Schöpfer und Herr der Welt gehört Gott nicht zu dieser Welt selbst, zu ihren Gegenständlichkeiten, Gegebenheiten und ihren Kausalitäten – er gehört vielmehr zu den allem Weltsein vorausliegenden Bedingungen und Voraussetzungen. Er gehört auch zu den – ungegenständlichen – Voraussetzungen unserer Erkenntnis und unseres gegenständlichen Wissens.
Vor allem ist Gott Grund der Freiheit, die zusammen mit dem Selbstbewusstsein den Menschen zu seiner Sonderstellung in der uns bekannten Welt erst befähigt. Durch Gott – so drückt es K. Jaspers aus – gelangt der Mensch „dorthin, wo er eigentlich frei von Welt, nun erst der Welt ganz offen wird, wo er unabhängig von der Welt sein kann, weil er gebunden an Gott lebt. Gott ist für mich in dem Maße, als ich eigentlich existiere“.

Fußnoten zu diesem Aufsatz in meinem Buch „Existenzkrise Gottes“, Augsburg, Anm. 128 – 148, beziehbar nur noch antiquarisch oder telefonisch unter 0049 6755 621
Siehe auch H. Mynarek: „Die Vernunft des Universums“ Lebensgesetze von Kosmos und Psyche, Goldmann TB.
„Ökologische Religion“, 2. Auflage, Stephan Wunderlich Verlag, 2021

Erscheinungsdatum: 31.03.2023