Professor Dr. Hubertus Mynarek in „Kirche In. Das internationale, christlich-ökumenische Nachrichtenmagazin “, 01/2009

Die Gottesfrage bewegt die Menschen. Norbert Stahls Serie löste eine Reihe von Reaktionen aus. Kirche In ist ein offenes Forum, wo der Dialog stets Platz findet. Zu den Ausführungen des sich als Atheist bezeichnenden Professors Walter Weiss („Gott. Wozu?“ in Kl 11 /2008) meldet sich nun der bekennende Agnostiker Dr. Hubertus Mynarek, ehemaliger Rektor der römisch-katholischen theologischen Fakultät Wien, mit folgender Entgegnung.

520 Buchseiten brauchten Hofstetter und Weiss also, um das wirkliche Wesen Gott auszumachen. Das Ergebnis ihrer langen Denkbemühungen ist enttäuschend und äußerst minimalistisch. Denn Gott ist nur wie der Herr Weiss oder wie jeder andere von uns! Auf keinen Fall größer. “ER kommt (ja) erst in uns, und zwar als wir zur Existenz!“ Wohlgemerkt, Gott manifestiert sich nicht nur gemäß Prof. Weiss in uns, nein, er bekommt sogar seine Existenz von uns. „Der Atheist (= der Aufgeklärte, Erlöste und ergo Auferstandene) weiß, dass wir Er sind“. Die Theisten sollten dem Atheisten Weiss dafür dankbar sein, das er Gott seine Existenz gegeben, Ihn sozusagen aus der Unsichtbarkeit, ja dem Nichts des Jenseits bzw. der Begriffe in das Sein, in die Sichtbarkeit der Gestalt des Herrn Weiss heruntergeholt hat. Denn „der unaufgeklärte (= noch nicht Auferstandene) Theist betet ihn nach wie vor als Jenseitigen an und braucht IHN aus verschiedenen Gründen“. Nur „der Atheist setzt sich mit IHM (also mit sich selbst) identisch. Und vertraut natürlich auf sich selbst“. Und dieser Glaube des Atheisten ist „Wissen“, und als solches „wahrlich unerschütterlich!“

Herr Weiss kommt zwar äußerst selbstbewusst, ja bombastisch daher und tut gerade so, als ob er das Ei des Kolumbus entdeckt hätte, aber neu ist das alles nicht. Die Geschichte der Mystik in fast allen Religionen beweist, dass viele Mystiker in ihren ekstatischen Aufschwüngen sich mit Gott identifizierten. Und die gesamte Menschheitsgeschichte ist voll von Größenwahnsinnigen, die proklamierten, Gott zu sein. Auch Hilter, Mao Tse Tung, Stalin usw. sagten zwar nicht „Ich bin Gott“, fühlten sich aber als Allmächtige und behandelten in unüberbietbarer Brutalität Menschen und ganze Völker als Materialobjekt ihrer „Allmacht“. Wie so etwas endet, demonstrieren diese „Führer der Völker“ am anschaulichsten selber! Aber auch viele kleinere „Götter“ landeten in der Psychiatrie.
In der Philosophie gab es ebenfalls seit dem Alterztum genügend pantheisierende Strömungen, die Gott mit dem Geist, dem Selbst, dem tieferen oder höheren Bewusstsein des Menschen identifizieren.

Soviel recht summarisch zur Geschichte der Identifikation des Menschen mit Gott. Sachlich ist zu sagen: Was Herr Weiss in sich zur Existenz gebracht hat, ist nicht Gott, sondern er hat zu (psychischen) Existenz in sich, in seinem Inneren gebracht das Bild, die Vorstellung, die er von Gott hat. Da war – im 13. Jahrhundert – Thomas von Aquin schon weiter, als er lang und breit ausführte, dass wir auf Gott nur indirekt schließen können, indem wir von seinen vermutlichen Wirkungen in der Seele wie gnadenhaften Erfahrungen, Seelenfrieden u.ä. ausgehen. Herr Weiss kann sich ja – wie jeder andere auch – nicht einmal seines Selbst ganz gewiss sein. Er sollte daher aufhören, zur Erhöhung dieses Selbstbewusstseins auch noch Gott zu bemühen. Wenn schon Atheist, dann bitte ganz ohne Vokabel Gott, ohne theologisches Vokabular.

Der Autor der vorliegenden Antwort auf die Ausführungen von Professor Weiss ist zwar Agnostiker, aber so leicht wie dieser macht er sich die Frage der Realexistenz Gottes denn doch nicht. Ein ehrlicher Agnostiker wird immer metaphysikoffen sein, wird stets mit der Möglichkeit von wie immer gearteter Transzendenz rechnen. Auch ein Atheist, der diskussionsfähig und offen, also nicht „wahrlich unerschütterlich“ ist, müsste redlicherweise in Wirklichkeit Agnostiker sein, indem er sich bewusst macht, dass man Gott zwar nicht beweisen kann (die Beweismittel könnten ja nur aus unserer sinnlich-diesseitigen Erfahrungswelt kommen), dass man aber auch für seine Nichtexistenz keine Beweise erbringen kann. Wer von Natur, vom Universum, von der Evolution etc. pp. ausgeht, der kann zwar auf dem naturwissenschaftlichen-naturphilosophischen Weg Gottes Realexistenz ebenfalls nicht beweisen, er kann sich aber um gewichtige Hinweise nicht herumdrücken, die aus diesem bereich stammen und auf eine unerhörte, menschliches Maß weit überschreitenden Intelligenz hindeuten.

An dieser Stelle meiner Ausführungen wird Herr Weiss sicher ein ironisches Lächeln aufsetzen. Schließlich ist sein großer Gewährsmann doch Dawkins, und der kommt von der Evolutionsbiologie her. Wenn der also sagt, die Natur enthalte keinerlei Hinweise auf eine irgendwie geartete Transzendenz, dann müsse das doch stimmen. Freilich ist Herr Weiss noch etwas päpstlicher als Atheistenpapst Dawkins, der immerhin schon mehrfach betont hat, er sei zu 90% überzeugt, dass es Gott nicht gibt. Die gegenteilige Wahrscheinlichkeit, nämlich, dass er existiert, betrage allerhöchstens 10%. Dagegen ist Professor Weiss hundertprozentig „unerschütterlich“ sicher , dass es keinen, von seinem eigenen Selbst unabhängigen Gott gibt. Ich vermute, dass Dawkins seriöserweise deshalb von diese 10 Prozent spricht, weil er das Gesamtphänomen Evolution doch nicht exklusiv atheistisch vereinnahmen kann. Auf den ersten Blick allerdings scheint es allerdings so: Mutation, Selektion und all die anderen Mechanismen der Evolution sehen so aus, als ob sie völlig ohne irgendeine Art von transzendenter Ursächlichkeit auskommen. Aber der Schein trügt, denn die Anfangsbedingungen der Evolution sind ja durch sie selbst nicht mehr erklärbar, sie sind ihr vorgegeben. Dass die vier Grundkonstanten der Natur (die Gravitationskraft, die elektromagnetische Kraft, die starke und die schwache Kernkraft) ganz präzis aufeinander abgestimmt sind, dass sie in feinstens ausgeklügelten Zahlenverhältnisse zueinander stehen, sodass schon relativ kleine Veränderungen dieser Verhältnisse unser Universum nicht hätten entstehen lassen bzw. es sehr bald wieder zerstört hätten, das passt nicht in das Dogma der totalen rationalen Erklärbarkeit der Welt (vgl. H. Mynarek, Die Vernunft des Universums, Essen 2003, 2. Auflage, 15ff), ebensowenig wie die der Evolution vorausgehende und sie ermöglichende Einbettung unseres Planeten in die Energieströme des Universums (ebd. 160ff). Das Gleiche gilt von der „Affinität der Stoffe“, das heißt, dass sich die chemischen Elemente nicht einfach beliebig oder willkürlich, sondern nur nach ganz bestimmten Wertigkeiten und Zahlenverhältnissen miteinander verbinden. Das war aber die Voraussetzung für die makromolekulare Evolution!

Die Evolution kann auch nicht erklären, sondern setzt voraus, dass es Fortpflanzung, Generationenfolge und Vererbung gibt. Evolution als Phänomen aufsteigender Arten und neuer Baupläne steht zwar zweiffelsfrei fest, aber die (neo-)darwinistische Interpretation mit ihrem Kausalinstrumentarium reicht nicht zur Erklärung dieser Höherentwicklung. Durch willkürliche Mutationen und deren Selektion ist noch keine einzige neue Art entstanden. Die Paläontologie, die Lehre von den Fossilien, liefert keineswegs die vielen Übergangsformen, die bei den neodarwinistisch vorausgesetzten Mikromutationen hätten entstehen müssen, bis es zu einer neuen Art kommen konnte. Auch die Erklärung der Neodarwinisten für die Entstehung komplexer Organe und der damit verbundenen langwierigen Prozesse sind zu simpel.

Nun behaupte isch mit alledem natürlich nicht, die Existenz Gottes als des Planers des Kosmos und der Evolution bewiesen zu haben. Der Atheist kann durchaus mit Jaques Monod, Nobelpreisträger in Biologie, entgegnen, diese Anfangsbedingungen des Universums und der Evolution seien zwar extrem unwahrscheinlich ohne eine sie verursachende Intelligenz, aber sie könnten trotzdem Zufall sein. Als völlig unmöglich kann man den Zufall in diesem Zusammenhang nicht absolut ausschließen. Aber auf jeden Fall ist auch die Evolution, auf die sich momentan die Atheisten im Gefolge von Dawkins besonders eifrig und gern berufen, kein Beweis für die Nicht- existenz eines vom Menschen unabhängigen super-intelligenten Geistes.
Aber es bedarf nicht einmal des umfassenden Studiums der Evolution. Schon die genauere Kenntnis eines vermeintlichen mickrigen Einzellers beweist seine haushohe Überlegenheit über die modernste chemische Fabrik, so dass jeder, der das erkannt hat, von der Versuchung befreit ist, sich als Gott zu empfinden. Hätte doch unsere Intelligenz niemals ausgereicht, um ein so genial strukturiertes Universum zu erfinden. Der wohl genialste Geist unter den theoretischen Physikern, Albert Einstein, hat das in tiefster Bescheidenheit zugegeben: „Für mich ist das Leben der Inbegriff all der Erscheinungen, von denen jeder sieht, dass er das Wesentliche davon nicht begreift. Beim Anorganischen merkt man es nur nach langem, tiefem Studium. Man hat zwar prächtige Begriffe ersonnen und damit scheinbar alles im Prinzip verstanden. Aber es kommt der Augenblick, in dem man sieht, dass alles unzureichend ist. Beim Lebendigen liegt die Oberflächlichkeit unseres Begreifens offen zutage. Daran kann nur einer zweifeln, der überhaupt nie etwas tiefer begriffen hat. Kurz, man wird zum tief religiösen Ungläubigen.“

Für Einstein ist die „hochgradige Ordnung der objektiven Welt“, ein „Wunder“, weil man doch in einem Universum ohne intelligenten Geist als Anfangsstudium eine chaotische Welt erwarten sollte, die durch Denken in keiner Weise fassbar ist“. Dieses „Wunder“ verstärkt sich mit der Entwicklung unserer Kenntnisse nur immer mehr. Hier liegt der schwache Punkt für die Positivisten und die berufsmäßigen Atheisten, die sich beglückt fühlen durch das Bewusstsein, die Welt erfolgreich nicht nur entgöttert, sondern sogar 'entwundert' zu haben. Das Schöne ist, dass wir uns mit der Anerkennung des „Wunders“ bescheiden müssen, ohne dass es einen legitimen Weg darüber hinaus gäbe“.

Aber es ist ja nicht Einstein allein. Alle Begründer und Vertreter der modernen Physik (Planck, Heisenberg, Niels Bohr Eddington, Schrödinger usw. ) haben – jeder freilich auf andere Weise – einen Weg von der Physik zur Metaphysik gefunden bzw. gebahnt (s. H.P. Dürr, Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik der das Buch „Physik und Transzendenz“ herausgegeben hat, in dem jeder dieser Koryphäen mit einem Kapitel authentischer eigener Aussagen diesen Weg zur Transzendnez beschreibt).Wohlgemerkt: Diese Transzendenz muss keineswegs der persönliche Gott des Christentums, Islams, Judentums sein. Möglich wäre auch eine eine den Dingen innewohnende, also immanente Intelligenz, die trotzdem in dialektischer Zuordnung dazu weltumgreifend und - übergreifend wäre. Einstein beispielsweise hat sich ausdrücklich zum pantheistischen Gott Spinozas (Gott= Natur) bekannt und den Gott des Theismus abgelehnt. (Näheres bei Mynarek, Ökologische Religion, Goldmann TB, München).

Wie dem auch sei, wer die Transzendenz total negiert, wie immer diese auch geartet sei, ob man sie Gott, das Sein, den Seinsgrund, Karma als ausgleichende Schicksalsgerechtigkeit, Nirvana, Brahma, Tao oder wie immer nennt, wer sie nicht einmal als Möglichkeit in Betracht zieht, der beschneidet sein Menschsein, der gerät ständig in Gefahr, die Transzendenz unbewusst in seine brüchige, kontingente Immanenz, auf sein Niveau herunterzuholen und sich damit selbst zu vergöttlichen. Echte, volle Humanität besteht gerade in der zu respektierenden Differenz zwischen Immanenz und Transzendenz, existiert in der Spannung zwischen diesen beiden Polen.

Wer apodiktisch erklärt, es gebe keinerlei Art von Transzendenz, keine letzte Geheimnishaftigkeit des Seins, keine unlösbare letzte Rätselhaftigkeit der Wirklichkeit, der ist kein Philosoph, sondern ein Bekennender, „Konfessioneller“, wie sich Herr Weiss selber bezeichnet, der ist im Endeffekt ein Fanatiker, weil er nicht alle Möglichkeiten des Denkens berücksichtigt und in sich zulässt.

Es spricht nicht wenig für die Existenz eines Seins, das alles Seiende aus sich entlassen hat, aber es spricht auch einiges dagegen. Der Sprung des Glaubens – so – wohl zum Glauben an Gott als auch zum Glauben an den Atheismus – ist unvermeidbar. Nur der Agnostiker kann sich ihn ersparen.

Zum Schluss noch einige Richtigstellungen: Es klingt zwar aus dem Mund von Professor Weiss sehr überzeugend, entspricht auch der gängigen Meinung, ist aber trotzdem falsch, wenn er behauptet: „Gäbe es Gott nicht, gäbe es keine Religionen, keine Kirchen, keinen Glauben an eine – zeitliche! - Weiterexistenz nach dem Tod....“ Herr Weiss scheint noch nie etwas von einer atheistischen Form der Religion wie dem Hinayana-Buddhismus oder dem Taoismus gehört zu haben, noch nichts von den vielen Formen einer „Religiosität ohne Gott“ (vgl. mein gleichnamiges, auf Umfragen basierendes Buch). Er scheint doch noch mehr in der katholischen Tradition zu stecken als ihm bewusst ist, den es sind die beiden christlichen Großkirchen, die Religion derart auf den Glauben an einen Gott festgelegt haben, dass andere Religionen mit anderen, keineswegs theistischen Inhalten gar nicht ins Blickfeld des Gläubigen gelangen.

Ganz falsch ist es auch, den Glauben an ein Fortleben nach dem Tod unbedingt vom Glauben an Gott abhängig zu machen. Wie immer die Evolution mit ihren Um- und Irrwegen verlaufen ist, sie hat auf unserem Planeten immer höheres Bewusstsein hervorgebracht, bis hin zum Selbst-Bewusstsein des Menschen. Wieso sollte es nicht möglich sein, dass die Evolution in einer anderen Dimension weitergeht, dass dieses bei vielen Menschen hier immer noch sehr rudimentäre Bewusstsein sich in einer anderen Sphäre weiter- und höher entwickelt. Wenn dem so sein sollte,- wir können bei den letzten Seins- und Sinnfragen freilich nichts beweisen - , dann hängt das Weiterleben nur von diesem Bewusstsein, seinem Vorhandensein, nicht von Gott ab (vgl. H. Mynarek, Unsterblichkeit, Essen 2005)

Schließlich ist ja auch die Idee der Unsterblichkeit der Seele ursprünglich nicht auf jüdisch-christlichem, sondern „heidnischem“ Boden, im antiken Ägypten und Griechenland entstanden. Judentum und Christentum glaubten ursprünglich nur an den Tod des ganzen Menschen, der dann beim Jüngsten Gericht auch von Gott auferweckt werde. Natürlich weiß Herr Weiss wieder ganz genau, dass er keine Seele hat: „Ich, Ihr Atheist, habe keine Seele?“ Aber das ist sein Privat glaube, der ihm gegönnt sei. Wie er allerdings sein Sein ohne Seele, sein also seelenloses Menschsein mit seiner Überzeugung, Gott zu sein, in Übereinstimmung bringen will, die Lösung dieses Problems bleibt ihm vorbehalten.