Revolutionär, Reformer oder Populist?

Alle Welt liebt und bejubelt ihn. Die Medien erheben ihn zum neuen Strahlemann des 21. Jahrhunderts. Politiker aller Couleur von rechts bis links reißen sich um seinen Besuch. Ob Putin oder das Weiße Haus in Washington, Diktatoren oder als Demokraten Geltende – sie alle glauben, dass dieser Papst noch ihren Glanz erhöht, ihre Position festigt, wenn sie sich mit ihm präsentieren. Wir versuchen trotzdem ohne Missgunst, aber auch ohne blindes Begeistertsein den Charakter des Bergoglio/Franziskus zu ergründen. Viele behaupten ja sogar, er sei „der gütigste Mensch der Gegenwart“. Zweifel sind angebracht.

Da ist z.B. in seiner Biografie der schwarze Fleck seiner außerordentlichen Strenge gegenüber seinen Ordensbrüdern. Offenbar war ihm seine schnelle Karriere im Orden zu Kopf gestiegen. War er doch schon mit 36 Jahren der Chef aller Jesuiten in Argentinien geworden. Und in dieser Stellung als Provinzial übte er ein derart rücksichtsloses Regiment aus, dass er die Jesuiten dieses Landes radikal spaltete. Der Riss war derart irreparabel, dass ihn nach der Abberufung Bergoglios von seinem Posten auch die nächsten drei argentinischen Provinziale nicht kitten konnten. Es musste erst ein ausländischer, kolumbianischer Jesuit an die Spitze der argentinischen Provinz geholt werden, um wenigstens den Anschein einer neuen Harmonie der Jesuiten Argentiniens erwecken zu können.

Diese Episode in dem noch jungen Leben des Bergoglio/ Franziskus wirft ein Licht auf seinen Charakter. Seinen Eintritt in den Jesuitenorden hatte er ja damit begründet, dass ihn dessen Prinzipien „Gehorsam, Disziplin, Mission“ so faszinierten. Gnadenlos setze er also auch diese Disziplin jetzt bei seinen Untergebenen durch. Güte ist kein ursprünglicher Charakterzug des Papstes Franziskus. Aber dieses Erlebnis, als er in ein schwarzes Loch fiel, weil man ihm alle seine herausragenden Ämter genommen hatte und er im Grunde nach Aussagen damaliger Zeitzeugen praktisch erledigt war, hatte ihn zu der Einsicht gebracht, dass man mit Güte viel mehr Sympathien gewinnt als mit Strenge und Härte. Der Mann war wie ausgewechselt. Überall präsentierte er sich jetzt als jovial, kumpelhaft, als Freund der Armen, als Mann „mit vielen Sünden“, der aber gerade deswegen jetzt auch ein offenes Herz für alle Sünder dieser Welt habe, und das über alle Religionsgrenzen hinweg. Wusch und küsste er doch später als Papst am Gründonnerstag sogar die Füße von Muslimen, damit noch seinen Meister in den Schatten stellend, der lediglich seinen Jüngern die Füße gewaschen hatte.

Mit seinem neuen liebenswürdigen Charakter gewinnt er das Wohlwollen eines ganz Großen in Argentinien, des Erzbischofs von Buenos Aires. Für den ehrgeizigen Jesuiten Bergoglio steht fest: er muss den Karriereknick, in den ihn seine Härte gebracht hat, unbedingt überwinden. Aber so etwas schafft man nur durch Beziehungen. Bis heute zerbrechen sich manche Papstbiografen den Kopf darüber, wie es zu der intensiven Freundschaft zwischen dem reichen Kardinal und dem armen Jesuiten kommen konnte. Fakt ist, dass dieser verschwenderische, den Luxus liebende, in den teuersten Restaurants speisende, in den pompösesten Hotels übernachtende Kirchenfürst einen Narren an dem bescheiden, demütig, ergeben daherkommenden Bergoglio gefressen hat. Gegen alle Regeln der Kirchenpolitik bei der Besetzung vakanter Posten setzte Kardinal Quarracino bei Papst Johannes Paul II. durch, dass Bergoglio zu seinem Nachfolger auf dem Erzbischofsthron von Buenos Aires bestimmt wurde, obwohl er Jesuit war und einer der Weihbischöfe Quarracinos die Nachfolge hätte antreten müssen. Auch diese weitere Episode zeigt, dass Bergoglio tatsächlich von einem ungeheuren Ehrgeiz getrieben war, der allerdings seit seiner Konversion vom kalten Machtmenschen zum liebenswürdigen Missionar der Menschheit stets im Gewand der Demut und Bescheidenheit daherschreitet.

Aus diesem Zwiespalt zwischen Schein und Wirklichkeit ergeben sich fast alle Ungereimtheiten, Inkonsequenzen und Widersprüche im Leben des Papstes.

Das Lavieren zwischen Gehorsam und Ungehorsam. Jesuiten haben sich neben den üblichen Mönchsgelübden des Gehorsams, der Armut und Keuschheit auch noch speziell zum bedingungslosen Gehorsam gegenüber dem jeweiligen Papst verpflichtet. Sie sollen dem Papst uneingeschränkt dienen, selbst aber niemals das Papstamt anstreben. Bergoglio aber setzte sich selbstherrlich darüber hinweg – und wird der erste Jesuit auf dem Papstthron!
Man hat den neuen Papst als „Revolutionär im Vatikan“ bezeichnet. Mit dieser Revolution, dem Umsturz der hierarchischen, bürokratischen und finanziellen Strukturen der Kirche ist er nicht weit gekommen. Dennoch ist er ein Revolutionär, aber in einem anderen Sinne. Seine Revolution besteht darin, dass zum ersten Mal in der ganzen zweitausendjährigen Geschichte der Kirche die einzigartige und an sich unmögliche Konstellation einer »Personalunion von Papst und Jesuit« Wirklichkeit geworden ist. Niemals ist ein Jesuit Papst geworden! Es galt als ungeschriebenes, heiliges, unantastbares, selbstverständliches Gesetz, dass er dies auch nie werden sollte und werden durfte. Angesichts dieser radikalen Verpflichtung zum Dienst am Papst fiel es keinem Jesuiten in der fast 600 Jahre währenden Entwicklungsgeschichte dieses Ordens ein, Papst zu werden. Das wäre einem Sakrileg, einem unverzeihlichen Tabubruch gleichgekommen. Und da kommt nun ein Jesuit aus dem fernen Argentinien, der diesen unerhörten Tabubruch begeht, der die ganze heilige Ordnung abgestuften und streng auseinandergehaltenen Dienens und Herrschens umstürzt, also im wahrsten Sinne des Wortes revolutioniert. Der Diener wird zum Herrscher, der Usurpator schwingt sich auf den Papstthron!
Der Widerspruch zwischen dem, was er in seinen Publikationen lehrt, und seinen Behauptungen in der Öffentlichkeit. Nimmt man die Theologie, die er in seinen Büchern und Aufsätzen vertritt, unter die Lupe, stellt man erstaunt fest, dass dieser Mann das naivste, fundamentalistischste, unkritischste, von jeglichem Zweifel unberührteste Gottes-, Jesus-, Marien-, Kirchen- und Teufelsbild vertritt, das man sich nur denken kann, ja heute eigentlich gar nicht mehr denken darf, weil es eine kindlich-simple Dogmatik ist, die schon der gewöhnliche Menschenverstand, noch mehr jede historisch-kritische Überlegung gar nicht anders als ablehnen muss. Im radikalen Gegensatz dazu präsentiert sich der Papst in der Öffentlichkeit aber total ohne diesen unerträglichen dogmatischen Ballast. Vielleicht haben ihm ja auch Professoren der Jesuitenhochschule St. Georgen in Frankfurt a. M., bei denen er seinerzeit als Ex-Provinzial der Jesuiten vergeblich versuchte, seinen theologischen Doktor zu machen, gesagt, dass man mit einer solchen Dogmatik zumindest in Westeuropa keine Punkte mehr sammeln könne. Und da seine populistische Ader, der Ehrgeiz, bei allen anzukommen, enorm ist, gibt sich der Papst gegenüber Journalisten, die jedes seiner Worte begierig notieren, nunmehr großzügig, locker, unorthodox! So gegenüber dem Herausgeber der italienischen Tageszeitung La Repubblica Eugenio Scalfari, vor dem er ganz salopp den Satz „Gott ist nicht katholisch“ ausspricht. Wenn dieser Satz wirklich ernst und ehrlich gemeint ist, wäre das die Relativierung, Schwächung, Infragestellung von fast zwei Jahrtausenden katholischer Gotteslehre und die Eröffnung und Ermöglichung eines offenen, ebenbürtigen Dialogs der Kirche mit allen Religionen und ihren diversen Gottesvorstellungen!
Man bedenke die sensationellen Konsequenzen: Der Papst, seine Kardinäle, Bischöfe und Priester, also der gesamte katholische Klerus hätten als »Bodenpersonal Gottes«, als Stellvertretung Gottes auf Erden, als Mittler und Vermittler zwischen Gott und dem Kirchenvolk ausgedient, weil sie dem falschen Gott gedient haben, weil Gott der eigenen Aussage des Papstes zufolge gar nicht katholisch ist. Die gesamte Klerisei wäre als götzendienerisch einzustufen, weil sie ein falsches Gottesbild verkündet hat. Das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes wäre außer Kraft gesetzt, weil er „unfehlbar“ einen falschen Gott gelehrt hat. Die ganze Hetze, die der sonst so barmherzige Papst gegen New Age, Sekten, Esoterik, Pantheismus, „frei fluktuierende und diffuse“ Religiosität (von ihm spöttisch „Dio-Spray“ genannt) betreibt, hätte sich damit als unbegründet, unseriös erwiesen, weil eben keine Religion, Konfession, Institution, Weltanschauung genau sagen kann, wie und wer Gott wirklich ist. Egal, ob sich Franziskus der Tragweite seiner Aussage ganz bewusst war, an und für sich enthält sein Satz „Gott ist nicht katholisch“ ein derart gewaltiges ketzerisches, rebellisches, revolutionäres Explosionspotential, dass es das ganze „unfehlbare“ kirchliche Lehrgebäude und die „allein seligmachende“ Kirche mit seiner Sprengkraft total zerstören könnte.
Nicht ganz so ketzerisch, aber doch in hohem Maß die Kirche abwertend ist seine These, dass die Kirche eine „keusche Hure“ ist. Diese These formulierte Franziskus in seinem Buch „Offener Geist und gläubiges Herz“ , und er kommt allen deshalb eventuell erhobenen Einwänden dadurch zuvor, dass er sich auf die Kirchenväter beruft, die bereits in den ersten Jahrhunderten des Christentums die Kirche wegen ihrer Andienerei an die jeweilige weltliche Macht eine „meretrix“, eine „Hure“, genannt haben. Auch hier die mangelnde Logik des Papstes: Niemand kann zugleich keusch und Hure sein!
Mit der „liberalen Weite“ des Papstes geht es munter weiter. Dem argentinischen Magazin Viva servierte er „zehn Regeln für ein glückliches, erfülltes Leben“. Diese Regeln könnten ebensogut ein New-Age-Prediger, irgendein Guru oder auch jeder Genussmensch und Bonvivant aufgestellt haben. Die erste Regel des Papstes: „Leben Sie und lassen Sie leben!“ Die zweite: „Seien Sie großzügig zu sich und zu anderen!“ Die achte: „Denken Sie positiv!“
Leider stößt das „großzügig-großartige“ Lebensprogramm des Papstes sofort an seine Grenzen, wenn es um Konkretes geht. Katholische Eheleute, die sich scheiden ließen, sind auch drei Jahre nach dem Amtsantritt des neuen Papstes exkommuniziert, offiziell zu den Sakramenten nicht zugelassen. Auch wenn Franziskus nette Worte für sie findet, amtlich exkommunizierte Sünder bleiben sie dennoch. Der Weltoffene, Allbarmherzige, zeigt auch keinerlei Ansätze zur Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frauen in der Kirche. Die Exkommunikation der bisher etwa 200 Frauen, die sich valide, sed illicite (nach dem kanonischen Recht: gültig, aber unerlaubt) von abtrünnigen Bischöfen zu Priesterinnen weihen ließen, hat der „Gütige“ nicht aufgehoben und wird es auch nicht tun. Sie würden gern ihrer Berufung zum Priestertum folgen, aber Franziskus lässt sie nicht für das leben, wozu sie sich berufen fühlen. Sie sind Ausgestoßene in der von ihnen so geliebten eigenen Kirche!

Auch zur Welt gekommenen Kindern gegenüber zeigt der Papst keine Großzügigkeit. In der »Taufe« wird ihnen ein absurdes Ritual aufgezwungen, das zur Devise des Papstes »Leben und leben lassen« im Widerspruch steht. Der Mensch, der ganz neu und ursprünglich zur Welt kommt, hat der katholischen Dogmatik nach noch überhaupt keine Würde. Er ist mit der Erbsünde belastet, steht also unter der Herrschaft des Teufels. Deshalb muss ihm ein Exorzismus, eine Teufelsaustreibung verpasst werden. Ein Teufel muss aus einem unschuldigen Baby hinausgetrieben werden. Pardon, für die offiziellen Lehrer der Kirche ist es nicht unschuldig, sondern belastet mit der Ursünde Adams und Evas.
Ein weiterer Widerspruch im Zusammenhang mit der Taufe ist Papst Franziskus anzulasten. Er verurteilt doch vehement den Schwangerschaftsabbruch, die Abtreibung: Wegen des „Wertes der menschlichen Person … darf man nicht erwarten, dass die Kirche ihre Position in dieser Frage ändert. Ich möchte diesbezüglich ganz ehrlich sein (ist er das sonst nicht?). Dies ist kein Argument, das mutmaßlichen Reformen oder >Modernisierungen< unterworfen ist. Es ist nicht fortschrittlich, sich einzubilden, die Probleme zu lösen, indem man ein menschliches Leben vernichtet. Die ungeborenen Kinder … sind die Schutzlosesten und Unschuldigsten von allen, denen man heute die Menschenwürde absprechen will, um mit ihnen machen zu können, was man will“. Falsch! Nach der Lehre der Amtskirche und des jetzigen Papstes sind sie gar nicht unschuldig, haben sie gar keine Menschenwürde, da sie auch im Mutterleib mit der Erbsünde behaftet sind, unter der Herrschaft des Satans stehen, von dem sie erst befreit werden und damit zur Erlangung der Menschenwürde kommen können, wenn sie getauft worden sind. Weiter der Papst: Menschliches Leben, auch das ungeborene ist „immer etwas Heiliges und Unantastbares, in jeder Situation und jeder Phase seiner Entwicklung“. Falsch! Nach der Lehre der Amtskirche und auch des jetzigen Papstes ist ein Leben erst durch die Taufe heilig, während der Entwicklungsphase im Mutterleib ist es unheilig, vom Satan befleckt. Widersprüche über Widersprüche, in die sich der Papst verwickelt! Jedenfalls wäre er hier gefordert, den ganzen Stall der Erbsünde auszumisten, was wiederum nicht geschehen wird!
Mit der Abwertung ungeborener Kinder geht es auch nach deren zu frühem Tod gemäß der Lehre der Kirche weiter. Die größte Grausamkeit ihnen gegenüber besteht darin, dass die Kirche sie nach dem Tod nicht in den Himmel lassen kann, weil sie wegen des Fehlens der Taufe nicht unschuldig, sondern schuldig; nicht sündelos, sondern sündig; nicht teufelsfrei, sondern teufelsbesessen sind, somit den Himmel nicht verdient haben.
Also: Das unschuldigste Lebewesen, das man sich denken kann, ein noch nicht zur Geburt gelangtes Kind im Mutterleib, wird von den „Wächtern des Paradieses“, dem „Bodenpersonal Gottes“, nicht in den Himmel eingelassen, weil es keine Taufe empfangen hat. Und man liest und hört nirgendwo, dass Papst Franziskus an dieser unbarmherzigen Lehre etwas zu ändern gedenkt. Allerdings ist die Kirche „milder“ geworden. Die ungeborenen Kinder, da nicht getauft, kommen jetzt an einen Ort, wo es ihnen relativ gut geht. In den Himmel dürfen sie trotzdem nicht!
Ein weiteres Bonmot aus dem Stilblütenkabinett des Papstes Franziskus lässt sich mit dem widersprüchlichen Begriff eines „würdevollen Schlagens“ umschreiben. Während seiner Generalaudienz am Mittwoch, dem 4. Februar 2015, spricht Franziskus über die Familie und die Rolle des Vaters bei der Kindererziehung. Er zitiert einen Vater, den er sagen gehört habe: „Ich muss manchmal meine Kinder ein bisschen schlagen, aber nie ins Gesicht, um sie nicht zu erniedrigen“. Es folgt das Lob des Papstes für diesen Vater: „Wie schön! Er weiß um den Sinn der Würde. Er muss sie bestrafen, aber er tut es gerecht und geht dann weiter“. Dem Papst scheint besonders diese »Halbierung der Würde« zu gefallen: Kein Schlagen ins Gesicht, weil dieses für den Papst der würdigste Körperteil ist, wohl aber Schlagen auf alle möglichen restlichen Körperzonen, die er für nicht mehr so wichtig hält. Sein Gott, der Schöpfergott hat also den Menschen reichlich bruchstückhaft geschaffen: mit einem würdigen oder würdevollen Gesicht, aber mit wenig oder gar nicht würdevollem Hals, Armen, Beinen, Brust, Bauch, Genitalien usw. Wenn Väter auf die draufhauen, verletzen sie nicht die Würde des Kindes, meint der Papst. Das in diesem Absatz Gesagte ist nicht so spekulativ, wie es im ersten Moment scheint. Sowohl die Jesuiten als auch Opus Dei, das ja einige Vertreter in der Römischen Kurie sitzen hat, führen noch immer die Prügelstrafe in ihren Satzungen und nehmen nur das Gesicht von dieser Strafe aus.
Da haben wir nun den Salat! Da hatte sich praktisch die ganze Welt im Laufe von drei Jahren daran gewöhnt, auf dem Stuhl Petri einen Hohepriester zu sehen, der die makellose Liebe in Person zu sein schien, dem man im Unterschied zu seinen wegen der Missbrauchsskandale misstrauisch beäugten Priestern nicht übelnahm, dass er Kinder ausgiebig küsste, liebkoste, umarmte und umfasste – und da erweist sich dieses überall mit Sympathien überhäufte Musterexemplar eines durch und durch positiven Menschen als Befürworter der Prügelstrafe, zwar nicht eines exzessiven, aber immerhin eines gemäßigten Schlagens von Kindern und Jugendlichen durch den Vater.
Der Papst scheint eine echte Sympathie für körperliche Gewalt zu hegen. Billigt er doch nicht bloß das Schlagen von Kindern, sondern auch das Prügeln von Leuten, die eine Mutter beleidigen. Wie das erstere nach der Auffassung des Papstes nicht die Würde des Kindes verletzt, verstößt das letztere ihm zufolge auch nicht gegen das Toleranzgebot. Jedenfalls gilt hier nach dem Papst: „Wer meine Mutter beleidigt, den erwartet ein Faustschlag“. Ganz genau lautet diese Aussage des Papstes, die er im Januar 2015 auf seiner Reise in die philippinische Hauptstadt Manila machte, folgendermaßen: „Wenn Dr. Gasbarri, mein lieber Freund, meine Mama beleidigt, erwartet ihn ein Faustschlag“. Dazu sollte man wissen, dass Dr. Gasbarri ein wirklich guter Freund sein muss, weil er die Reisen des Papstes organisiert, was viele logistische Bemühungen beinhaltet. Wenn Franziskus also selbst diesem guten Freund, der so viel für ihn tut, einen Faustschlag verpasst, sollte dieser seine Mama beleidigen, dann zeugt das schon von einem gehörigen Aggressionspotential in der päpstlichen Brust, schlicht gesprochen, von Rohheit und Brutalität. Denn es müsste doch genügen, diesem Freund zu sagen „Du hast gerade meine Mutter beleidigt. Entschuldige dich in aller Form dafür!“ Nur Primitivlinge schlagen sofort los. Hier aber macht das oder ist dazu bereit der vermeintlich höchste Vertreter Gottes auf Erden, der sich doch dem Evangelium verpflichtet fühlen müsste, wonach man noch die zweite Wange hinhalten soll, wenn man schon einen Schlag auf die erste bekommen hat. Das Ganze lässt viel tiefer blicken, als im Allgemeinen die Medien wahrgenommen haben.
Einen ganz eklatanten Widerspruch zu seiner in seinen Büchern verbreiteten Dogmatik bildet besonders des Papstes schon erwähntes Glücksprogramm. Hier alle zehn Regeln dieses Programms: Regel 1: „Leben Sie und lassen Sie leben!“, Regel 2: „Seien Sie großzügig zu sich und zu anderen!“, Regel 3: „Bleiben Sie gelassen!“, Regel 4: „Machen Sie den Fernseher aus und verbringen Sie Zeit miteinander!“, Regel 5: „Arbeiten Sie am Sonntag möglichst nicht!“, Regel 6: „Unterstützen sie die Jugend, sorgen Sie dafür, dass sie würdige Berufe findet!“, Regel 7: „Respektieren Sie die Natur!“, Regel 8: „Denken Sie positiv!“, Regel 9: „Respektieren Sie andere Religionen!“, Regel 10: „Bleiben Sie friedlich!“ Dieses Glücksprogramm des Papstes, das so einfach und unspektakulär daherkommt, enthält in Wirklichkeit einen sensationell-revolutionären Sprengstoff. Schafft doch der Papst mit diesem Glücksprogramm das Christentum, seine römisch-katholische Religion, ja im Grunde sogar alle Religionen ab, indem er sie implizit als überflüssig erweist, weil sie zum Gelingen von Leben, zur Erreichung glücklichen Lebens nichts beitragen. Mit keinem Wort gibt es in seinen Regeln zum Glück einen Hinweis darauf, dass Religion, Glaube, irgendwelche religiösen Riten, Praktiken, Mittel notwendig seien, um ein menschliches Leben zum Gelingen zu bringen. Dieser Papst, der in all seinen Büchern ununterbrochen von Gott, Christus, Maria, hl. Dreifaltigkeit, Dogmen und Sakramenten der Kirche redet, ohne die keine Erlösung zu erreichen sei, hat in seinem wahnhaft populistischen Drang, allen Menschen zu gefallen, einen riesigen Bock geschossen, indem er in seinen Glücksgeboten völlig ohne die ganzen Lehrsätze der Kirche, ja ohne seine Religion und das Christentum überhaupt auskommt, allen Leuten einen total säkularistischen Weg zum wahren Glück anbietet. Kein Papst, kein Theologe in der gesamten Geschichte der Kirche hat deren Überflüssigkeit derart über alle Maßen demonstriert wie dieser Seelsorger aus Argentinien, der plötzlich wie jeder Psychotherapeut der Seele Gutes tun will ohne die doch vermeintlich heilsnotwendigen Mittel der Kirche. Mit seiner Redseligkeit, seinem clownesken Jonglieren mit Sprüchen hat er sich selbst ad absurdum geführt. Der »Herr der Sprüche« tappte in die Falle seiner eigenen Sprüche, wurde selbst ihr Opfer! Durch seinen überdimensionalen Ehrgeiz, seine diesbezügliche Obsession, Christentum und Kirche wieder total aktuell und medienkonform zu machen, zahlte er den Preis des Populismus, die totale Herabsetzung seines Anliegens zu einer »Konsum-Religion« auf dem Niveau der Bild-Zeitung. Seine Light-Version von Glücklichwerden unterscheidet sich kaum von dem den Kantschen kategorischen Pflicht-Imperativ abgelöst habenden sanften Glückszwangsangebot unserer heutigen Gesellschaft zum universellen, uns alle verbinden sollenden »good feeling«. Diese Nivellierung der Religiosität zu einer Konsumreligion muss natürlich nicht ernstgenommen werden. Eine unabhängige Form von echter Spiritualität, die sich an keine Institutionen, Hierarchien und erstarrte Paragraphen klammert, bleibt für alle Zeiten sinnvoll!
Ein weiterer Spruch des Oberhauptes der katholischen Kirche bezieht sich auf Sexualität und Fortpflanzung. „Gute Katholiken müssen nicht wie Karnickel sein“, gaben Presseagenturen wie dpa und reuters (19.1.15) diesbezügliche Worte des Pontifex wieder. Der korrekte Wortlaut des vom Papst Gesagten hört sich dann schon gemäßigter an. Auf dem Rückflug von den Philippinen nach seinem Besuch in Manila äußerte er sich folgendermaßen: „Manche Leute glauben – entschuldigen Sie den Ausdruck –, um gute Katholiken zu sein, müssen wir sein wie Karnickel“. Dabei gebe es doch das Prinzip der „verantwortungsbewussten Elternschaft“ und „viele von der Kirche erlaubte Methoden“, um die Zahl der Kinder zu begrenzen. Das Ganze dient nur der Verschleierung der Tatsache, dass der Papst nicht gewillt ist, auch nur einen Millimeter vom Pillen- und Kondomverbot seiner päpstlichen Vorgänger abzuweichen. Denn wo sind denn die vielen Methoden, die die Kirche angeblich bereithält, um katholischen Ehepaaren, die bereit sind, sich an dieses Verbot zu halten, die Begrenzung der Kinderzahl zu ermöglichen?
In Wirklichkeit sagt er die Unwahrheit, denn es gibt diesbezüglich im Grunde lediglich zwei Methoden: die »Ogino-Knaus-Methode«, die die Eltern zu damit oft überforderten Rechnern macht, um die unfruchtbaren Tage der Ehefrau herauszubekommen, an denen dann die Kirche den Eltern gnädiglich zu koitieren erlaubt; und den »Appell an die Enthaltsamkeit«, wonach sie sich nicht wie Karnickel benehmen, sondern mit Hilfe des Gebets und asketischer Übungen körperliche Abstinenz üben sollen. Man sieht, wie unbarmherzig, ja zynisch die Sexualdoktrin der Kirche und auch der Papst in diesem Punkt sind. Denn für die große Mehrheit der Eltern ist diese Enthaltsamkeit praktisch unmöglich. Noch weniger hält sich der Klerus an das päpstliche Pillen- und Kondomverbot. Sonst gäbe es noch sehr viel mehr Kinder, die einen Priester zum Vater haben!
Der Karnickel-Spruch des Papstes Franziskus enthüllt in abstoßender Weise, wie er über die eheliche Vereinigung zwischen Mann und Frau denkt: sie unterscheidet sich nach ihm nicht von der Herumbumserei von Karnickeln! Das Geistig-Seelische in der Beziehung zwischen Frau und Mann berücksichtigt der Papst gar nicht, ist er in seiner zölibatären Denkweise vielleicht auch gar nicht fähig wahrzunehmen. Der Katholik Heinrich Böll übertreibt kaum, wenn er in den „Ansichten eines Clowns“ seine Romanfigur zu einem Prälaten sprechen lässt: „Alles, was über diese drastische Sache gesagt, gepredigt und gelehrt wird, ist Heuchelei. Ihr haltet im Grunde eures Herzens die Sache für eine aus Notwehr gegen die Natur in der Ehe legitimierte Schweinerei.“ Offensichtlich ist auch für Papst Franziskus die Ehe lediglich von der Kirche legalisierte, sakramental abgesegnete, daher amtskirchlich erlaubte und genehmigte Brunst, Notdurft, Ausschweifung, Hingabe an die sündige Wollust.
Ein weiterer eklatanter Widerspruch besteht zwischen der immer wieder ertönenden Predigt des Papstes über eine von ihm geforderte „Arme Kirche der Armen“ und dem tatsächlichen Reichtum der Kirche, ihrem Besitz an Kunstschätzen, Immobilien, Parks, Weide- und Nutzflächen. In Bezug auf diesen enormen Besitzstand der Kirche fehlt beim Papst jegliche entschlossene Initiative zur Verfügungstellung dieser Güter zugunsten der Armen. Der Papst kann herzzerreißend über das Flüchtlingselend predigen, beschwört Hilfsorganisationen und Staaten, die Flüchtlinge aufzunehmen. Er selbst aber und seine Kirche organisieren keine systematische Hilfe für sie. Hunderte von Klöstern in Deutschland, Italien, in allen Ländern Europas, ebenso in Nord- und Südamerika, oft noch „gesegnet“ mit beachtlichen Ländereien, stehen leer oder fast leer. Infolge des Nachwuchsmangels an Ordensleuten werden sie, wenn überhaupt, von einer Handvoll Nonnen oder Mönchen bewohnt. Stellt der Papst die immensen Räumlichkeiten dieser Klöster und Ordensburgen den Flüchtlingen zur Verfügung? Natürlich nicht! Sie könnten ja diese vom Papst bzw. seiner klerikalen Oberschicht geweihten Orte profanieren! Praktisch vor der Haustür des Vatikans und der zahllosen Klöster und Kirchen in Süditalien befindet sich das Mittelmeer. Aber er denkt gar nicht daran, die Portale, Türen und Tore der kirchlichen Räumlichkeiten für diese Ärmsten der Armen zu öffnen. Die Macht, dies gegenüber dem kalten, am Vermögen hängenden Establishment der Kirche durchzusetzen, hätte der Papst. Aber er verlangt es ja nicht einmal. Das kirchliche Vermögen darf all seinen hehren Erklärungen zum Trotz auf keinen Fall angetastet werden.
Selbst in der Heiligen Stadt Rom gehört inzwischen jedes vierte Gebäude dem Vatikan. Und auch diese Gebäude werden nicht mal zu einem kleinen Bruchteil den Armen dieser Stadt vom Papst zur Verfügung gestellt. Herrliche Patrizierhäuser werden oft nur von einem Erzbischof oder Kardinal bewohnt, allerdings meist nicht ohne eine Equipe von Dienern und Nonnen, die ihm geistig wie leiblich zu Diensten sind. Aber dafür hat es der Papst durchgesetzt, dass sich Obdachlose auf dem Petersplatz kostenlos rasieren lassen dürfen und auch noch Seife und Handtuch erhalten. Man bedenke auch die vatikanischen Museen mit ihren immens wertvollen Schätzen. Sie könnten an andere, nichtkirchliche Museen verkauft werden, die sie ebensogut hüten würden wie die vatikanischen Museumswächter. Der Erlös aus dem Verkauf könnte den Armen zugutekommen. Wiederholt nicht der Papst immer wieder den Bibelspruch: „Wo dein Schatz ist, ist auch dein Herz“ und „sammelt keine irdischen Schätze!“ Das ganze Elend der Armen in aller Welt könnte allein schon mit dem Erlös aus den musealen Kostbarkeiten des Vatikans beseitigt werden. Getan wird nichts! Kürzlich gab das Erzbistum München zu, über ein Vermögen von sechs Milliarden Euro zu verfügen, wohlgemerkt noch ohne die Besitztümer von 750 eigenständigen Pfarreien und Pfründestiftungen auf dem Gebiet der Erzdiözese, das Erzbistum Paderborn verfügt über vier Milliarden Euro, das von Köln über dreieinhalb Milliarden. Bei alledem sind die Liegenschaften der Kirche und der Wert der vielen kirchlichen Versammlungssäle nicht einbezogen.
Im Interview mit dem Jesuiten Antonio Spadaro vom 19. August 2013 stellt dieser ihm die sehr direkte Frage: „Wer ist Jorge Mario Bergoglio?“ Franziskus hält nur eine Antwort für die ihn am adäquatesten charakterisierende: „Ich bin ein Sünder. Das ist die richtigste Definition. Und es ist keine Redensart, kein literarisches Genus. Ich bin ein Sünder“. Der Papst ergänzt noch: „Ja, ich kann vielleicht sagen, ich bin ein wenig gewieft, ich verstehe mich zu bewegen, aber es stimmt, dass ich auch arglos bin. Ja, aber die beste Synthese, die mir aus dem Innersten kommt und die ich für die zutreffendste halte, lautet: Ich bin ein Sünder, den der Herr angeschaut hat … Fehler habe ich so viele begangen, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann. Fehler und Sünden“. Der Papst hat noch bei diversen anderen Gelegenheiten immer wieder betont, dass er ein Sünder, ein großer Sünder sei. Wenn aber einer ständig wiederholt, dass er ein Sünder ist, jedoch keine einzige seiner Sünden konkret beim Namen nennt, dann ist das ein leeres Lippenbekenntnis, das den Verdacht aufkommen lässt, dass hier jemand seine Bescheidenheit und Demut zur Schau stellen möchte.
Es kann sich sogar noch ein weiterer Verdachtsmoment aufdrängen. Vielleicht will der Papst durch die häufige Betonung seiner Sündhaftigkeit all denen zuvorkommen, die bemüht sind, dunkle Punkte in seiner Biografie zu finden. Denen wäre damit die Luft aus dem Sensationsballon genommen, da der Papst doch schon immer gesagt habe, dass er ein Mensch großer Fehler und Sünden gewesen sei. Tatsächlich bietet das Leben Bergoglios noch weitere Angriffsflächen.
Fazit: Papst Franziskus hätte einen positiven Energieschub bewirken, einen neuen spirituellen Impuls in die Welt hineintragen, hätte die Menschheit auf ein höheres Niveau der Humanität heben können. Wenigstens hätte er in seiner sog. „Ökologie-Enzyklika“ gegen die Schande des massiven Tiertötens entschieden Front machen müssen. Da er sich aber in Wirklichkeit als Welt-Missionar einer im Reichtum versunkenen, keine tiefere Spiritualität mehr ausstrahlenden Kirche versteht, geraten die, welche »Seiner Heiligkeit und Liebenswürdigkeit« folgen, nicht auf eine höhere Stufe des Geistes, sondern ins Niemandsland eines blutleeren Gerippes abergläubisch-unsinniger Dogmen oder einer nichtssagenden Laissez-faire- und Konsum-Religion. Eine neue Ethik und Spiritualität, hoch über allem flachen, praktischen Materialismus und sich als Wissenschaft ausgebenden Naturalismus , ist von ihm nicht zu erwarten.

Erscheinungsdatum: 07.12.2017