Leserbrief zu Navid Kermani

Staunenswert, mit welch enormer Energie und Akribie, mit welch kunstvoll ineinander verschachtelten Argumentationsreihen Navid Kermani allen Deutschen, selbst den aus anderen Ländern eingewanderten, eine Erbschuld und Erblast generationenübergreifend sozusagen bis ans Ende der Welt einzuprägen sucht. Dabei schreckt er selbst vor falschen literarischen Pauschalisierungen nicht zurück, wenn sie der Begründung seiner Hauptthese von der absolut singulären deutschen Erbsünde dienlich sein können. Es ist zum Beispiel keineswegs so, dass literarische deutsche Klassiker wie Goethe und Heine ihr Land radikal und durchgehend negiert und schlechtgemacht hätten. Da braucht der Praeceptor novae Germaniae doch noch ein wenig Nachhilfeunterricht.

Es wird Herrn Kermani schwere Bauchschmerzen verursachen, aber Goethe lässt nun mal mit seiner vollsten Überzeugung im Festspiel „Des Epimenides Erwachen“ den Chor die Worte vortragen:

„So rissen wir uns ringsherum
Von fremden Banden los.
Nun sind wir Deutsche wiederum,
Nun sind wir wieder groß.
So waren wir und sind es auch
Das edelste Geschlecht,
Von biederm Sinn und reinem Hauch
Und in der Taten Recht.“

(Ich, der Leserbriefschreiber sage ja nicht, dass dem so ist. Aber auch ein Neudeutscher wie Kermani sollte nicht Goethes Worte unterschlagen!)

Selbst vor Kritik anderer Völker scheut Goethe nicht zurück, obwohl einige darin schon wieder einen Makel an seiner universalen Humanität erblicken werden. Über einen unserer Nachbarn urteilt er nämlich in seinen Epigrammen:

„Das ist Italien, das ich verließ… Noch ist der Fremde geprellt, stell’ er sich, wie er auch will. Deutsche Redlichkeit suchst du in allen Winkeln vergebens.“

Und zu Heinrich Heine: Herr Kermani lese sich nur mal Heines Gedicht „Deutschland“ durch, dessen erste zwei Zeilen lauten:

„Deutschlands Ruhm will ich besingen,
Höret meinen schönen Sang!“
Die letzten Worte dieses Poems:
„Herrlich blüh das Deutsche Reich!“

Und auch Heines „Nachtgedanken“ dürfte Herr Kermani wie alle politisch Korrekten in unserem Land gründlich missverstanden haben. Sie alle haben immer nur die ersten zwei Zeilen dieses Gedichts gelesen und halten es für eine totale Absage an Deutschland. In Wirklichkeit ist der Inhalt dieses Gedichts seine Sorge um seine alternde Mutter. Von Deutschland aber heißt es darin:

„Deutschland hat ewigen Bestand,
Es ist ein kerngesundes Land…
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben.“

Herr Kermani kann im heutigen Deutschland zwar die wichtigsten Buchpreise erringen, von mir jedoch bekäme er in Deutsch eine Sechs. Die FAZ, die sich rühmt, eine liberal-konservative Zeitung zu sein, weigerte sich, diesen Leserbrief zu veröffentlichen. Stattdessen brachte sie eine Reihe von Leserbriefen, die Kermani überschwänglich lobten. Einseitiger lässt sich die Meinungsfreiheit nicht auslegen.


An die Chefredaktion der FAZ
Odernheim, 22.7.2017

Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie brachten auf zwei großzügig aufgemachten Seiten Navid Kermanis „Beweis“ der einzigartigen und ewigen, bis ans Ende der Welt bleibenden Erbschuld der Deutschen an den Juden. Wenn dann ein Leserbriefschreiber eine höflich formulierte, demokratisch einwandfrei, abweichende Meinung dazu hat, unterdrücken Sie diese, was mit meinem Leserbrief zu diesem Autor geschehen ist. Meinungsfreiheit ist aber immer die Freiheit das anderen, sonst sind Sie eine totalitäre Zeitung, die nur Leserbriefe, die Ihrer eigenen Meinung entsprechen, veröffentlichen. In diesem Sinne brachten sie auch nur Leserbriefe, die Navid Kermani überschwänglich loben... Sie stehen übrigens mit Ihrer Art der Meinungsfreiheit völlig konträr zu allen Resolutionen der UNO, die stets die Kollektivschuld eines Volkes abgelehnt hat.

Mit gar nicht freundlichen Grüßen
Hubertus Mynarek

Erscheinungsdatum: 08.02.2018