Brief an einen atheistischen Freund.

Leider komme ich wegen diverser Inanspruchnahmen erst jetzt dazu, auf Dein Schreiben mit den Argumenten für Deinen Atheismus zu antworten.

Sei mir nicht böse, aber es wimmelt von Oberflächlichkeiten. Du findest es zum Beispiel „unstatthaft, für unerklärliche Dinge einfach einen intelligenten Schöpfer namhaft zu machen, der das alles erklären würde und gemacht hat.“ Wer macht denn sowas? Ich jedenfalls nicht. Und auch kein Universitätstheologe. Du bist diesbezüglich offenbar beim primitivsten Religionsunterricht Deiner Schule steckengeblieben. Hättest du nämlich mein Dir zugesandtes Buch wirklich gelesen, dann wärest du auch auf Richard Dawkins gestoßen, der ja für die meisten Atheisten der neue Leader ist und dessen Buch „Der Gotteswahn“ die neue Bibel der Atheisten, Naturalisten, Materialisten ist. Du findest auf Seite 56 meines Buches „Vom wahren Geist der Humanität“ Dawkins’ Eingeständnis, dass er „höchstens ein bisschen deistische Mitwirkung bei den Anfangsbedingungen des Universums“ benötige, „so dass über lange Zeiträume hinweg Sterne, Elemente, Chemie und Planeten entstehen konnten und die Evolution des Lebens stattfand“.

Bezüglich der Entstehung der ersten Zelle gesteht Dawkins ebenfalls, dass wir ein enorm unwahrscheinliches, mathematsch eigentlich unmögliches „Ein-Schritt-Zufalls-Ereignis“ zur Entstehung der ersten lebenden Zelle bräuchten, weil sonst die ganze Evolution in der Luft hinge.

Intelligente Strukturen brauchen eben einen intelligenten Planer. Und der Urknall mit den vier Grundkonstanten des Universums (Gravitation, elektromagnetische Kraft, schwache und starke Kernkraft), die in genialster Weise mathematisch aufeinander abgestimmt sind, so dass kleinste Abweichungen von dieser Harmonie das Universum gar nicht hätten entstehen lassen oder es sehr bald wieder zerstört hätten, ist nun einmal mit dem Wunderding der Atheisten, dem Zufall, nicht zu erklären. Und auch den Schritt vom Unbelebten zum Leben ebenso wie den Schritt vom Empfindungsbewusstsein der Tiere zum reflektierenden Bewusstsein des Menschen können die Atheisten und Naturalisten nicht erklären. Wo die Atheisten einen Schöpfer umgehen möchten, setzen sie meistens das Wort Zufall ein.

Hochintelligente Atheisten wie Monod oder G.G. Simpson geben das auch zu (siehe dazu Jacques Monod auf Seite 214 f. meines Buches und Simpson auf Seite 244 f. ebenda). Aber die meisten durchschnittlichen Atheisten sind doch ebenso dogmatisch wie so mancher Katholik oder Protestant. Die Bibel von Dawkins tragen sie alle in ihrem Tornister, aber wirklich gelesen hat sie kaum ein Atheist. Es wird wieder geglaubt! Aber jetzt nicht mehr christlich, sondern atheistisch!

Und wenn Du Dich, lieber Freund, schon auf Karl Popper berufst, dann bedenke gefälligst, dass er nun wirklich kein Atheist war (siehe dazu nämlich zu Popper in meinem Buch „Vom wahren Geist der Humanität“ die Seiten 225 – 227).

Ein grundlegender Fehler von Dir ist, dass Du mit Deinem Wissen über die Religion nicht über die Pubertätsphase hinausgekommen bist. Die meisten Katholiken und Protestanten setzen Kirche mit Religion gleich. Und wenn sie dann von ihrer Kirche enttäuscht sind, werden sie zu Atheisten. Auch Dir scheint ja einiges mit Missbrauch von Priestern passiert zu sein. Aber Kirche ist weitgehend die Perversion der Religion. Wahre Religiosität ist höchste, feinfühligste Innerlichkeit und Intimität, etwa im Sinne Meister Eckharts oder Albert Einsteins (siehe im oben genannten Buch Seite 79 ff. und in meinem Buch „Die Neuen Atheisten“ das Kapitel über Einstein und Dawkins). Wahre Religion ist und muss Privatsache bleiben. Da stimmen wir beide sicher überein. Sobald Religionen sich zu Institutionen oder Organisationen auftürmen, sind sie im Wesentlichen nur noch Macht- und Geldbeschaffungsinstrumente, die sich des schuldlosen religiösen Faktors nur zu Selbstzwecken bedienen.

Weil du Religion nur mit Kirche identifizieren kannst, kommst Du auch zu einer geradezu absurden Vorstellung von der Unsterblichkeit. Man müsse Gott „gütig stimmen, um Geld und Unschuld für seine Kirche zu opfern, damit man ihm im Jenseits begegnen kann.“ Mein lieber Freund, die Hoffnung auf ein Fortleben nach dem Tode, die alle großen Geister der Menschheitsgeschichte geteilt haben (siehe dazu mein Buch „Unsterblichkeit“, Verlag die Blaue Eule, Essen, Seite 22) besagt nur, dass die Evolution in der Dimension jenseits des Todes weitergeht, weil wir im Laufe des kurzen diesseitigen Lebens gar nicht alle sinnvollen Aufgaben, die sich uns stellen, zur Vollendung bringen können. Das ist ein schwieriger Weg, der mit Bequemlichkeit, leicht erringbarer Seligkeit und Egoismus nichts zu tun hat. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Viele haben sich mit Spaß, Lust, Amüsements, Puffs und Orgien so vollgesoffen, dass sie aufgrund ihres Egoismus nur noch eines möchten – dass mit dem Tod alles vorbei sei. Der berühmte Neomarxist Ernst Bloch nannte diejenigen, die kein Weiterleben der menschlichen Existenz wünschen oder ertragen wollen, „Lahmärsche“. Dabei war dieser Denker Atheist. Aber er hielt auch ohne Gott vom menschlichen Geist so viel, dass er überzeugt war, dass dieser Geist in seiner Substanz und seiner Kraft sich auch über den Tod hinaus auf ein höheres Niveau der Evolution hinaufschwingen werde.

Lieber Freund, das alles ist wahrscheinlich für Dich starker Tobak, aber bedenke die Aussage, die Laotse zugeschrieben wird: „Wahre Worte sind nicht angenehm, angenehme Worte sind nicht wahr.“ In unserer Zeit, der Phase des oberflächlichen Denkens, geht es trotzdem wieder darum, alle Möglichkeiten, die eine These beinhalten könnte, stringent und differenziert zu beachten und sich nicht auf seinem einmal erreichten kleinen Hügel des eigenen Wissens bequem und selbstzufrieden auszuruhen.

Mit herzlichen Grüßen!
Hubertus

Erscheinungsdatum: 08.02.2018