„Die Welt“, eine der großen überregionalen Zeitungen in Deutschland, gefällt sich wieder einmal in ihrer Ausgabe vom 8.12.2018 darin, sich in den allgemeinen Prozess der Erniedrigung großer humaner Werte, Ideale und Errungenschaften einzureihen und ein Dogma aufzustellen bzw. feierlich zu wiederholen.

Sie nennt es beschwichtigenderweise allerdings nicht so ganz beim Namen, sondern ersetzt Dogma durch den damit verwandten Begriff Kanon.

Es ist, so der Titel des betreffenden Artikels: Schecks Kanon, geschrieben von ihrem Redakteur Denis Scheck, der von nichts, jedenfalls von Wissenschaftsgeschichte keine Ahnung hat, aber triumphal und mit viel Pathos das Dogma verkündet, Charles Darwin habe mit seiner Evolutionstheorie, insbesondere mit seinem Hauptwerk „Vom Ursprung der Arten“, Gott vom Thron gestoßen und aus dem Menschen einen schlauen Affen gemacht.
Zwar berufen sich Atheisten, Naturalisten, Materialisten und Utilitaristen zwecks Bestätigung und Befestigung ihres Glaubens an die Richtigkeit ihrer Weltanschauung auf Darwin (1809 – 1882), der vermeintlich bewiesen habe, dass die Evolution ohne jeglichen Plan, jegliches transzendentale Design, durch puren Zufall mithilfe des Instrumentariums von zufälligen Mutationen und Selektion entstanden und ohne jegliche Zielvorstellungen (Teleologie) abgelaufen sei.
Und natürlich haben sich auch fast schon unzählige Propagatoren und Agitatoren mit ihren Systemen und Theorien an Darwins Fersen geheftet, um die Wahrheit ihrer Annahmen auf die wissenschaftliche Autorität Darwins stützen zu können. Tatsächlich aber hat es Darwin zu Lebzeiten stets abgelehnt, für irgendwelche Zwecke missbraucht zu werden.

Am bekanntesten und pikantesten seine Absage an Marx und Engels, die seine Theorien als naturwissenschaftlichen Unterbau für ihre Ideologie des Klassenkampfes gern eingespannt hätten. Dabei hatte Friedrich Engels schon damals glasklar erkannt: „Die ganze darwinistische Lehre vom Kampf ums Dasein ist einfach die Übertragung der Hobbeschen Lehre vom bellum omnium contra omnes und der bürgerlich-ökonomischen von der Konkurrenz, nebst der Malthusschen Bevölkerungstheorie, aus der Gesellschaft in die belebte Natur. Nachdem man dies Kunststück fertiggebracht ... so rücküberträgt man dieselben Theorien aus der organischen Natur wieder in die Geschichte und behauptet nun, man habe ihre Gültigkeit als ewige Gesetze der menschlichen Gesellschaft nachgewiesen.“ 1)

In Wirklichkeit war Darwin, dieser von allen Seiten in Beschlag genommene Übervater der Evolution, weder Atheist noch Materialist oder Naturalist. Das zeigt sich unter anderem schon daran, dass er die in seinen Augen grandiose und erhabene Problematik des Uranfangs der Welt und des Ursprungs des Lebens äußerst ernst nahm und sie frei von jeglicher Ironie oder gar Zynismus behandelte, während doch so viele Vordenker dieser drei Denkrichtungen diese Problematik oft wegwischen oder bagatellisieren.
Dagegen bedachte und betrachtete Darwin die gesamte Problematik der Anfänge des Universums und des Lebens mit großer Bescheidenheit, ja mit einer wirklichen Ehrfurcht. „Das Mysterium vom Anfang aller Dinge können wir nicht aufklären; und ich jedenfalls muss mich damit zufriedengeben, Agnostiker zu bleiben.“ 2)

Wohlgemerkt »Agnostiker«, kein Atheist, kein Naturalist, weil Agnostiker mit Offenheit für die Möglichkeit der Metaphysik! Betont er doch: „Es ist wahrlich eine großartige Ansicht, dass der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat und dass, während unser Planet den strengsten Gesetzen der Schwerkraft folgend sich im Kreise geschwungen, aus so einfachem Anfang sich eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt hat und sich immer noch entwickelt.“ 3) Dieses Bekenntnis Darwins steht bekanntlich am Ende seines Hauptwerkes „Über die Entstehung der Arten“ und kann den atheistischen Anhängern Darwins natürlich nicht behagen, die es daher mit mehr oder minder schwachen Argumenten zu entkräften versuchen. 4) Aber ob es einigen Atheisten passt oder nicht passt, Darwin hat sich immer wieder mal die Freiheit genommen, von »Schöpfung« zu sprechen, so z.B. 1862, drei Jahre nach der Veröffentlichung seines Werkes „Über die Entstehung der Arten“: „Zuinnerst spüre ich, dass die ganze Frage nach der Schöpfung für den Intellekt des Menschen zu schwierig ist. Mit gleichem Recht könnte ein Hund über den Verstand Newtons spekulieren.“ 5)

Auch einige prominente Evolutionsbiologen von heute gehen das Problem »Schöpfung« und/oder »Evolution« im Geiste Darwins durchaus ernsthaft an. Der Gedanke an ein intelligentes, planendes Prinzip drängt sich ihnen immer dann auf, wenn sie ihre Erklärungen enorm unwahrscheinlicher Komplexitäten von Organen und Organismen als unzureichend erkennen müssen. Immer wieder kommen gerade den Versierten unter ihnen begründete Zweifel. So sagt beispielsweise der Neodarwinist George Greenstein in seinem Buch „The Symbiotic Universe: Life and Mind in the Cosmos“: „Wenn wir all diese augenscheinlichen Fakten betrachten, erwacht unausweichlich der Gedanke, dass irgendeine übernatürliche ›agency‹ – oder besser ›Agency‹ – im Spiel sein muss. Ist es möglich, dass wir plötzlich, ohne es zu beabsichtigen, in einen wissenschaftlichen Beweis der Existenz eines ›Supreme Being‹ hineingetappt sind? War es Gott, der in die Szene trat und auf diese Weise fürsorglich den Kosmos zu unserem Nutzen entwarf?“ 6)

Schon vor Greenstein hatte einer der namhaftesten Neodarwinisten des 20. Jahrhunderts, George Gaylord Simpson, zugegeben, dass das neodarwinistische Kausalfaktorengefüge aus Mikromutationen und Selektion Dinge voraussetzt, die diese Faktoren nicht mehr zu erklären vermögen: „Anpassung ist eine Tatsache, und sie verläuft im Rahmen eines im Sinn des Fortschrittes und nach gewissen Richtlinien ablaufenden Vorganges. Dieser Vorgang stellt ein Naturereignis dar, das in seinem Verlauf völlig mechanisch abläuft. Dieser natürliche Vorgang ruft den Eindruck eines Vorsatzes hervor, ohne dass jemand eingriffe, der diesen Vorsatz verfolgte, und er hat einen ausgedehnten Plan geschaffen, ohne gleichzeitige Handlung eines Planenden. Es kann sein, dass das Ingangbringen des Vorgangs und die physikalischen Gesetze, nach denen er abläuft, durch jemanden einmal zu einem Zwecke bestimmt wurden, und dass diese mechanische Art und Weise, einen entsprechenden Plan durchzuführen, als Werkzeug eines Planenden anzusehen ist – aber es ist nicht Aufgabe des Wissenschaftlers, über diese außerhalb des Bereiches der Wissenschaft liegenden Probleme zu sprechen.“ 7)
Im Gegensatz zu seinen von Zweifel unberührten späten Jüngern, die die Evolutionshypothese zum Dogma erhoben haben, dessen Antastung einer Blasphemie und einem Sakrileg gleichkommt, war sich Darwin seiner Theorie gar nicht so sicher, drängten sich ihm immer wieder mit Macht Zweifel, Fragen, berechtigte Einwände auf. „Wenn wir uns auf Einzelheiten einlassen“, schrieb er beispielsweise in einem Brief aus dem Jahr 1863, „so können wir beweisen, dass sich keine Spezies verändert hat (d.h. wir können nicht beweisen, dass sich eine einzige verändert hat); ebenso wenig können wir beweisen, dass die angenommenen Veränderungen vorteilhaft sind, was die Voraussetzung der Theorie ist.“ 8)

Auch hatte sich Darwin wiederholt die schwer auf ihm lastende Frage gestellt, „warum“ – unter der Voraussetzung der Richtigkeit seiner Theorie der Artenbildung durch sich summierende kleine Abweichungen oder Variationen (Mutation der Gene kannte er noch nicht) und den natürlichen Selektionsdruck – „dann nicht jede geologische Formation und jede Fossilschicht voll von artenverbindenden Zwischengliedern ist?“ Und er gab auch zu: „Die Geologie zeigt mit Sicherheit keinerlei solche fein abgestützten organischen Entwicklungsketten.“

Darwin quälte obendrein die Frage, ob sein Kausalinstrumentarium wirklich genüge, um die Entstehung hochkomplizierter Organe plausibel zu machen. Welche Fallgrube hier für seine Hypothese lauerte, hatte er genau gesehen: „Ließe sich das Vorhandensein eines zusammengesetzten Organs nachweisen, das nicht durch zahlreiche aufeinander folgende geringe Abweichungen entstehen konnte, so müsste meine Theorie unbedingt zusammenbrechen.“ 9)
Diesen Vorbehalt teilen nicht die verspäteten Jünger von Darwin und Dawkins. Frank und frei und ohne jegliche wissenschaftsmethodisch geforderte Hemmungen behaupten sie, dass die gesamte Wissenschaft, insbesondere die Biologen an der Bedeutung und Richtigkeit der Evolutionstheorie (wohlgemerkt in ihrer mechanistischen Interpretation, eine andere lassen sie gar nicht zu) „längst nicht mehr zweifeln“.

Die neodarwinistische Evolutionshypothese wird von Vielen als ein absolut unfehlbares, irrtumsfreies Dogma betrachtet. Abweichende Meinungen in dieser Sache werden als Zeichen von Ignoranz, von nicht auf der Höhe der Forschung Stehen heruntergemacht. Darwins Lehre wird nicht als Hypothese behandelt, als die sie wissenschaftstheoretisch zu gelten hat, sondern als Fakt, als Tatsache mit geradezu missionarischem Eifer proklamiert. In Wirklichkeit aber wurde, wenn man sich den geistesgeschichtlichen Überblick bewahrt hat, lediglich „die klerikale Dogmatik durch eine naturwissenschaftliche, aber nicht minder stringente Glaubenslehre ersetzt“, die alles, aber auch alles auf physikalische und chemische Prozesse sowie auf überaus glückliche Zufallsereignisse reduziert. Wissenschaftlichen Erkenntnissen entspringen diese Dogmen allerdings nicht, denn niemand hat sie je bewiesen. Im Grunde sind sie überhaupt nicht naturwissenschaftlichen Ursprungs, sondern ein philosophisch-soziologisches Konstrukt.“ 10)

Wissenschaftler dagegen, die die (neo-)darwinistische Evolutionstheorie kritisieren, riskieren viel. Sie verlieren ihre wissenschaftliche Reputation und können ihre Hochschulkarriere als beendet betrachten. Oft erhalten sie keine Forschungszuschüsse mehr von Staat und/oder Konzernen. Sie haben noch Glück, wenn man nicht an ihrem Geisteszustand zweifelt oder sie „von Amts wegen“ zum Psychiater schickt.

Orthodoxie bleibt Orthodoxie! Ihre Gesetze und Maßnahmen gegen solche, die die Rechtgläubigkeit verletzt haben, bleiben sich durch alle Zeiten ziemlich gleich. Scheiterhaufen brennen nicht mehr wie zu Zeiten der klerikalen Orthodoxie des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit, aber alle anderen inquisitorischen Manipulationen können sich auch heute noch frei und wild austoben: Verleumdung, Denunzierung, Lächerlichmachung, Verspottung, Ausschluss aus wissenschaftlichen Zeitschriften und Komitees, Nichtbesprechung ihrer Publikationen. Die Vernichtungsliste kann ohne Ende fortgesetzt werden. „Heute, da die Wissenschaft der Theologie den Rang als gültiges Paradigma abgelaufen hat, ersetzen wir die von theoretischem Eifer beseelten Anklagen lieber durch klinische Termini.“ 11) Du hast dich als Mitglied des wissenschaftlichen oder akademischen Establishments korrekt innerhalb der Grenzen des Neodarwinismus zu bewegen, oder wir schließen dich aus, exkommunizieren dich! Der Bannfluch, früher von Seiten der Kirche, heute seitens der Wissenschaft Bestimmenden kann noch immer eine ungeheure, vernichtende Wirkung entfalten und in der geschlossenen Anstalt enden!

Inzwischen beginnen jedoch immer mehr Naturwissenschaftler „die Grenzen ihres dogmatischen Weltbildes abzuklopfen und sich zu fragen, ob es nicht so manches jenseits dieser Grenze gibt, das sich nicht in dieses Weltbild fügt … Und mittlerweile zählt das Heer jener Wissenschaftler, das diese dogmatischen Grenzen schlichtweg für unbegründet hält, weltweit nach Tausenden.“ 12)

Nie hätte Darwin dem Satz zugestimmt, den nur ein Pseudophilosoph, ein philosophierender Literat als fundamentale Glaubensvoraussetzung a priori an den allerersten Anfang seines Weltbildes stellen kann, nämlich dass „wir uns“, wie das der jüngste Ordinarius für Philosophie in Deutschland im Hinblick auf alle Nihilisten glänzend formuliert hat, „in einem sinnlosen materiellen Universum befinden, in dem wir lediglich intelligente Fleischmaschinen oder bestenfalls Killeraffen mit religiösen und metaphysischen Illusionen sind.“ 13) Eine solche Voraussetzung wäre auch das Ende jeglichen Humanismus.

Nimmt man den Menschen den Transzendenzbezug, ist er nur noch ein Restbestand aus Körperlichkeit und Sinnlichkeit ohne Geist und die Fähigkeit, Grenzen des Erkennens zu überschreiten und das Unendliche anzusteuern. 14)

1) K. Marx, F. Engels, Briefe 1875 – 1880 in MEW, Bd. 34,17
2) Ch. Darwin, Mein Leben 1809 – 1882. Vollständige Ausgabe der Autobiographie, herausgegeben von seiner Enkelin Nora Berlow, Frankfurt a.M. 2008, 103.
3) Ch. Darwin, Über die Entstehung der Arten in: Ch. Darwin, Gesammelte Werke, Frankfurt a.M. 2006, 353 – 691, hier 691.
4) Vergleiche die neueste Biographie Darwins von E.-M. Engels, Charles Darwin, München 2009, und den von ihr hrsg. Sammelband, Charles Darwin und seine Wirkung, Frankfurt a.M. 2009.
5) CH. Darwin in London Illustrated News, 21.4.1862.
6) Zit. Nach F.R. Paturi, Die letzten Rätsel der Wissenschaft, München 2007, 196.
7) G.G. Simpson, Die Anpassungsprobleme in den Naturwissenschaften, Frankfurt a.M. 1940, zit. nach J. Kälin, Der kausale Deutungsversuch in der Makro-Evolution, in: Naturwissenschaft und Theologie, H.2, München 1959, 42f.
8) zit. T.T. Clark/J.D. Bales, Why Scientists accept Evolution, 1966,95.
9) Zit. nach Paturi, a.a.O. 187. Dieses Buch mit stringenten, exaktesten, auch mathematischen Nachweisen dafür, dass die total mechanistisch interpretierte Mutations-Selektionstheorie nicht stimmen kann, erschien kurioserweise in einem Münchner Verlag, der auch eine Reihe von Büchern herausgibt, die in salopp-oberflächlicher Weise die „Richtigkeit“ dieser „Theorie“ (in Wirklichkeit dieser Hypothese) „beweisen“.
10) Paturi a.a.O. 188.
11) J. Rifkin, Genesis zwei, Reinbeck 1986, 104. Vgl. R. Sheldrake, Das naturwissenschaftliche Weltbild in der Glaubwürdigkeitskrise 19ff.; und Eine wissenschaftliche Priesterschaft, 25ff. in seinem Buch Der Wissenschaftswahn. Warum der Materialismus ausgedient hat, München 2012. Alle eine mechanistische Evolution hymnisch anbetenden Atheisten, Naturalisten, Materialisten lehnen alles Geistige, soweit es mehr sein soll als ein zufälliges, nicht intendiertes Nebenprodukt der Materie, kategorisch ab. „Nach wie vor jedoch steht der Beweis aus, dass Leben und Geist allein auf der Basis von Physik und Chemie erklärbar seien“ (Sheldrake, a.a.O. 20; siehe auch das später über Sheldrake Ausgeführte).
12) Paturi a.a.O.; vgl. Sheldrake: “Inzwischen lassen auch innerhalb der Wissenschaft selbst Disziplinen wie evolutionäre Kosmologie, Quantenphysik und Bewusstseinsforschung die Standarddogmen der Naturwissenschaft etwas altmodisch aussehen“ (S. 38).
13) M. Gabriel, Warum es die Welt nicht gibt, Berlin, 5. Auflage 2013, 177. Auch Gabriel stellt fest, „dass das naturwissenschaftliche Weltbild scheitert. Es handelt sich um eine gigantische Illusion, die uns Halt verspricht, indem sie paradoxer Weise gerade den Sinn aus der Welt vertreibt.“ (S. 179). So zeigt sich hier erneut, dass der evolutionäre Naturalismus kein Humanismus, sondern in letzter Konsequenz in Wirklichkeit Nihilismus ist.
14) Ausführlicher und vertiefender zum Ganzen moderner Kritik an der darwinistischen und neodarwinistischen Evolutionshypothese siehe H. Mynarek, Vom wahren Geist der Humanität. Der evolutionäre Naturalismus ist kein Humanismus, Alsdorf 2017 (NIBE-Verlag)
ISBN: 978-3-947002-32-0. www.nibe-verlag.de

Erscheinungsdatum: 22.12.2018