Leserbrief zu Ihrem Artikel „Das Röcheln Gottes“ in: DER SPIEGEL Nr. 16/ 11.04.2020, S. 88 f.
Sehr geehrte Redaktion,
man ist es ja gewohnt, dass DER SPIEGEL je nach den Umständen mal kritisch, dann wieder skeptisch bis zynisch urteilt, sich jedoch im Großen und Ganzen einigermaßen an der Wahrheit zu orientieren sucht. Dass aber eine so oberflächlich-naive Lobeshymne auf den Wojtyla-Papst aus Ihrem Haus kommt, hätte ich nicht erwartet.
Ohne den kleinsten Hauch einer kritischen Sicht auf diesen Papst singt Herr Hornig seine Laudatio auf einen charakterlich wie politisch durchaus anders beurteilbaren kirchlichen Monarchen. Wer den Katholizismus in Polen und den Autoritarismus Wojtylas gegenüber Priestern, die nicht seiner Meinung waren, kennt, der wird auch nicht so begeistert den Papst-Vasallen, Erzbischof Dziwisz, preisen. Hätten Sie bzw. Ihr Adlatus in Rom auch nur kurz in Bücher wie „Der polnische Papst. Bilanz eines Pontifikats“, „Papst-Entzauberung“ und „Papst Franziskus. Die kritische Biografie“ hineingeschaut, dann wäre kein solch kirchenzahmer Artikel aus der Feder Ihres Autors geflossen. Dass Sie außerdem noch das werbewirksam geplante und perfekt ins Bild gebrachte Röcheln des sterbenden Papstes in der Überschrift Ihres Artikels mit dem Röcheln Gottes praktisch gleichsetzen, ist nicht anders als geschmacklos zu bewerten. Zu Ihrer Erinnerung: Selbst der theologisch dem Benedikt-Papst weit unterlegene Papst Franziskus hatte die seltene, aber richtige Inspiration, als er gegenüber dem Herausgeber der italienischen Tageszeitung La Repubblica, Eugenio Scalfari, den Satz „Gott ist nicht katholisch“ fallen ließ.
Mit freundlichen Grüßen Prof. Dr. theol. habil. Hubertus Mynarek
PS: Die Veröffentlichung des obigen Leserbriefes wurde vom SPIEGEL abgelehnt. Ein wahrer Beweis seiner Liberalität. Es ist natürlich absolut verständlich, dass das vermeintlich so unabhängige SPIEGEL-Magazin als seinen Korrespondenten beim Vatikan einen Mann entsendet, der sich möglichst mit den Herren in dieser Zentrale der Kirche gut stellt, der also, so gut das geht, das Loblied auf Kardinäle und Päpste singt, weil er sonst keine geheimen Informationen von diesen Herren und ihren Lakaien erhält. Also ist auch der Vatikan-Korrespondent des SPIEGEL, Herr Hornig, voll im Trend der Schleimer, wenn er den Wojtyla-Papst zum „Mann des Jahrhunderts“ hochstilisiert. Er hätte ihn u.a. auch deswegen so apostrophieren können, weil dieser Papst doch auch das „wunderbare Verhältnis“ mit Frau Dr. Tymieniecka, der Gattin eines US-amerikanischen Professors, hatte. In diesem Punkt waren selbst Kirchenblätter wie beispielsweise „Kirche In“ (Wien) viel couragierter als der SPIEGEL, indem sie über dieses Verhältnis durchaus berichteten. Und ein Jahrhundertmensch war der Papst auch deswegen, weil er von dem inzwischen entlassenen US-Kardinal Theodore McCarrick, dem sexueller Missbrauch Minderjähriger und Unzucht mit jungen Männern gerichtlich nachgewiesen wurden, eine schöne Spende von 90.000 US-Dollar bekam und keine Probleme damit hatte, diese auch anzunehmen. DER SPIEGEL sonnt sich zwar ständig in der Beteuerung, ein unabhängiges Blatt zu sein, aber seine Affinität zu allen Mächtigen dieser Welt steht außer Zweifel. Es begann allerdings schon mit seinem Start: Er wurde von der englischen Besatzungsmacht eingesetzt, und seitdem erklingt sein Abhängigkeitslied in allen Sparten: den alliierten Siegermächten England und Amerika möchte er keinesfalls zu nahetreten, dem Vatikan eben auch nicht. Und so kann er es sich auch nicht mit ihm verscherzen und einen Leserbrief wie den obigen veröffentlichen. Es sitzen nun einmal im SPIEGEL-Magazin zu viele philosophisch und theologisch ungebildete Leute, die von den eigentlichen Thesen, Problemen und Krisen dieser Disziplinen nicht die geringste Ahnung haben. Sie können zwar mitunter recht clever formulieren, kratzen dabei aber doch immer nur an der Oberfläche herum.
- Erscheinungsdatum: 27. Mai 2020