In dem weiten Rahmen des geradezu unerschöpflich scheinenden Repertoires des Papstes an flotten und lockeren Sprüchen finden sich auch Urteile über den Pantheismus. In einem Interview, das er den Journalisten Sergio Rubin und Francesca Ambrogetti gegeben hat, erklärt der „Unfehlbare“: „Der wie ein Spray in der Luft liegende Pantheismus ist nichts... nichts, was Bestand hat.“ 1)
Dieser Mann, der in seltenen Augenblicken, aber immerhin, eine bewusstseinserweiternde Inspiration oder Intuition erlebt zu haben scheint, die ihn den revolutionären Satz ausrufen lässt, dass Gott nicht katholisch ist, dieser selbige Mann ist hier in seinem Urteil über den Pantheismus wieder ganz engstirnig-fundamentalistisch. Auch bei anderen Gelegenheiten lästert er immer wieder mal über den „Dio-Spray“, also den Gottesspray aller New-Age-Vorstellungen „von einem unpersönlichen ‚spirituellen Bad im Kosmos’, einem Gott, ‚der ein bisschen überall ist, ohne dass man weiß, was er ist’“. 2)

Der Pantheist, so der Papst, könne leicht bei einem „Konsumverhalten oder bestenfalls einer ‚immanenten Transzendenz’ landen“. Der Pantheismus führe nicht zu einer wirklichen Religiosität“. Der Gott des Pantheismus sei ein „diffuses Sein“, das sich schließlich in einem „Götzenbild“ verkörpere, und so kämen die Pantheisten dann dazu, „einen Baum anzubeten oder Gott in einem Baum zu sehen“. 3)
Von den großen Pantheisten und ihren großartigen philosophischen Systemen vom antiken Heraklit über Plotin, Johannes Scotus Eriugena, Giordano Bruno, Baruch Spinoza, Fichte, Schelling, Hegel (den Pantheisten) bis hin zu Albert Einstein, um hier nur einige wenige zu nennen, hat der oberste aktuelle Lehrer der katholischen Christenheit offenbar noch nie etwas gehört, sonst könnte er nicht so verächtlich über den Pantheismus herziehen, auch wenn die vielen modernen und postmodernistischen Varianten des Pantheismus zusammengefasst im Sammelbegriff »Neue Religionen oder Religiositäten«, Größe und Würde des philosophischen Pantheismus selbstverständlich nur fragmentarisch oder sogar nur verzerrt wiedergeben können. Aber Papst Franziskus erlaubt sich hier ja ein Urteil über den gesamten Pantheismus, nicht nur über ein paar New-Age-Deviationen desselben!
Klar, die Herren der Kirche haben dem Dominikanermönch Giordano Bruno bis heute nicht verziehen, dass er ihr langweilig-düsteres Weltbild durch ein Multiversum von leuchtendster Schönheit und kraftvollster Lebendigkeit ersetzte. Deshalb „mussten“ sie ihn doch im Jahre 1600 des Herrn auf dem Scheiterhaufen verbrennen! Von ihm jedenfalls muss der Papst im Fach Kirchengeschichte doch etwas gehört haben. Da die Kirche Bruno aber permanent schlechtgemacht hat und der Papst andere Pantheisten nicht zu kennen scheint, könnte das mit ein Grund sein, warum er über den gesamten Pantheismus ein so oberflächliches und ignorantes Urteil fällt. Die Unfehlbarkeit auch zahlreicher anderer Päpste bestand ohnehin oft nur darin, auf der Basis ihres Halb- oder Viertelwissens neue weltanschauliche Strömungen, von denen sie keine echte Ahnung hatten, in Bausch und Bogen zu verdammen. (s. den »Syllabus« und den Index von der Kirche verbotener Bücher!
Wie wenig kennt dieser Herr Bergoglio alias Papst Franziskus auch seine eigene Kirchenreligion! Denn die hat doch das Dogma vom Heiligen Geist, und von diesem Heiligen Geist heißt es in ständiger Lehre, Predigt und Kirchenliedern, dass seine Kraft, seine geistige Energie überall ist, alle Dinge, alles Seiende belebt, durchdringt, durchatmet. Der Heilige Geist ist »Geist der Welt« (der Theologe Karl Rahner). Wo ist da der Unterschied zum Pantheismus, den der Papst so schlecht macht, indem er von ihm sagt, dass sein Gott „ein bisschen überall ist, ohne dass man weiß, was er ist?“ Weiß denn der Unfehlbare, heute auf dem Papstthron Residierende, was sein Gott, sein Heiliger Geist ist? Hat Bergoglio denn nicht von der »negativen Theologie« gehört, wonach wir von Gott nicht wissen können, was er ist, sondern nur, was er nicht ist? Diese Theologie vertraten alle großen Kirchenväter und Theologen von Thomas von Aquin, dem »Doctor angelicus«, dem „engelhaften“, von der Amtskirche den Theologen ständig zur Nachahmung empfohlenen Gottesgelehrten an der Spitze. Franziskus I. scheint davon nichts gehört zu haben, stattdessen lästert er in seiner theologischen Unwissenheit über den Pantheismus, der von der Heiligen-Geist-Lehre der Kirche gar nicht so weit entfernt ist, wie der, wenn er „diffus“ ist, wie der Papst spottet, jedenfalls nicht diffuser erscheint, als die, zahlreiche Widersprüche enthaltene, kirchliche Lehre von Gott und dem Heiligen Geist.
Die »kosmische Religiosität und Spiritualität« ist dem Papst auch ein Dorn im Auge. Klar doch, dass er gegen sie ist. Wenn heute ein Gebildeter, ein Intellektueller, ein Wissenschaftler überhaupt noch eine Antenne für Religiosität hat, dann dürfte das überwiegend die kosmisch-pantheistische sein. Ein solcher betrachtet dann das Universum, durchwandert die Natur, geht aber bestimmt nicht in einen katholischen Gottesdienst. Das tut unserem glühenden Kirchenapologeten Franziskus natürlich weh, also höhnt er, die kosmische Religiosität sei die „Vorstellung von einem unpersönlichen spirituellen Bad im Kosmos“.
Hat er denn eine Ahnung, was kosmische Religiosität überhaupt ist, worin sie besteht? Sie besteht „im verzückten Staunen über die Harmonie der Naturgesetzlichkeit, in der sich eine so überlegene Vernunft offenbart, dass alles Sinnvolle menschlichen Denkens und Anordnens dagegen ein gänzlich nichtiger Abglanz ist“. 4)
Es dürfte dem Papst auch unbekannt sein, dass der eben zitierte Ausspruch von dem Pantheisten und Spinozisten Albert Einstein, dem vielleicht größten Genie der Theoretischen Physik des 20. Jahrhunderts, stammt. Der Papst hat zwar in seinen zehn Glücksregeln als siebente den Rat parat, die Natur zu respektieren, aber offensichtlich hat er keine Kenntnis, geschweige denn Respekt von bzw. vor denen, die uns ein unsagbar tieferes und reicheres Bild dieser Natur vermittelt haben. Einstein könnten den Papst nachträglich noch zusätzlich belehren, wenn er über die kosmische Religiosität weiter ausführt: „Die religiös schöpferischen Naturen aller Zeiten waren von diesem Gefühl des Staunens ebenso erfüllt gewesen, wie die großen Naturforscher. Männer wie Demokrit, Franziskus von Assisi und Spinoza stehen einander nahe“, weil sie von dieser kosmisch-mystischen Spiritualität durchdrungen waren. 5)
Es liegt auch der Verdacht nahe, dass der Papst den Pantheismus so verteufelt (ja verteufelt! Denn er wiederholt doch oft: „Wer nicht zu Gott betet, betet zum Teufel“ 6)), weil der Pantheismus die Klerikerkaste überflüssig macht. Die Priester gerieren sich überall als die Vermittler zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch. Aber wenn Menschen von echter Religiosität ergriffen, den direkten Zugang zur Natur, zum Universum, zur Welt der Tiere und Pflanzen und zu dem ihnen innenwohnenden Seinsprinzip oder Seinsgrund suchen, dann brauchen sie keine Mittler, keinen „Geistlichen“ der vermeintlich geistiger und gebildeter ist als sie selbst und nur als solcher ihren Weg zum Höheren weisen kann. Im Pantheismus ist jeder göttlich, trägt jeder den göttlichen Funken in sich, freilich mannigfach verborgen unter den Schichten seiner Milieubedingtheit und seines Egoismus. Aber davon muss er sich in der Kraft dieses Göttlichen, das in ihm wohnt, selbst befreien. Es bedarf eines Zwei-Klassen-Systems von Pfaffen und Laien nicht mehr!
Natürlich hat diese Heiligung von allem, die dem Pantheismus eigen ist, für den Papst und seine Klerikerkaste etwas Anstößiges an sich. Er spricht lieber einen Papst wie den Wojtyla-Papst oder auch in Kürze den Montini-Papst, Paul VI., heilig, mögen deren Fehler und moralischen Mängel den Eingeweihten noch so bekannt sein, irgendeine Nonne oder fromme Seele wird sich schon finden, die „glaubwürdig“ bezeugt, dass ihr schweres Leiden nur durch diesen oder jenen „Heiligen“ geheilt worden sei.
Selbst der Reliquienkult, die Verehrung von ein paar Knochen, die einem Heiligen aus entfernter Vorzeit zugerechnet werden, liegt der Kirche und auch dem heutigen Papst mit seiner intensiven Sympathie für die Volksfrömmigkeit mehr am Herzen als der direkte Zugang der Gläubigen zur Natur. Das ist mit ein Grund, warum die Ökologie eine derart lange Zeit so stiefmütterlich in der Kirche behandelt wurde.
Aber nun endlich, am 18. Juni 2015, brachte Papst Franziskus, der in seiner Gier nach Popularität alle und alles vereinnahmen möchte, somit auch den Natur-, Tier- und Pflanzenschutz letztlich doch nicht ausklammern kann, eine Enzyklika zur ökologischen Problematik heraus. Sie beginnt mit den Worten „Laudato si“ (Gelobt seist Du), eine Referenz an Franz von Assisis berühmten Sonnengesang unter demselben Titel.
In gewisser Weise Verrat übt der Papst auch an Franz von Assisi, dem Mönch, der Sonne und Mond, Tiere und Pflanzen so geliebt hat und dessen Namen Kardinal Bergoglio jetzt als Papst angenommen hat. Denn der Mann aus Assisi hat tatsächlich auch Bäume umarmt, Gott auch in Bäumen gesehen – alles Dinge und Handlungen, die Papst Franziskus als Götzen- und Teufelsdienst heruntermacht. Aber dieser Papst hat dem Franz von Assisi auch in anderer Hinsicht die Gefolgschaft verweigert, sich seinen Namen zu Unrecht angeeignet. Denn Franz von Assisi predigte die totale Armut, der Reichtum der Kirche korrumpiere sie. Der Papst aber wird keinen Cent aus dem Besitzstand der Kirche herausrücken, mag er auch privat, wie er es bisweilen tut, alles Geld, das er in seinen Taschen trägt, herausschütteln, nicht ohne dass die Öffentlichkeit davon „rein zufällig“ erfährt.
Bekanntlich hat Franz von Assisi von Zeit zu Zeit sogar nackt gepredigt, um zu veranschaulichen, dass der wahre Jünger Jesu auf alles verzichtet. Papst Franziskus geht nicht nur nicht so weit, er lobt sogar die teuren Be- und Verkleidungen seiner Kleriker. Die „Messgewänder der Priester“ sind ihm zufolge, „nicht einfach Verzierung und Freude“ am Schönen, sondern vielmehr Ausdruck „der Herrlichkeit unseres Gottes“. Also dann: strikte Beibehaltung der Faschings- und Karnevalskostüme der Päpste, Kardinäle, Bischöfe, Monsignores, Pfarrer und Kapläne! Die Masse liebt das – und die Intelligenteren gehen in der Regel sowieso nicht mehr oder nur aus Opportunitätsgründen in die Kirche.
Der Papst beanstandet am Pantheismus auch noch, dass dieser höchstens bei einer „immanenten Transzendenz“ landen könne. Hier braucht der „Unfehlbare“ schon wieder Nachhilfeunterricht, diesmal in Erkenntnistheorie. Oder hat jemals einer in der ganzen Geistesgeschichte der Menschheit Transzendenz ohne Immanenz erreicht, ohne die Immanenz seines Leibes, seines Gehirns, seiner Psyche, seiner Vernunft und Willenskraft, von wo aus er dann aufsteigen, Grenzen überschreiten, »transzendieren« kann, ohne je, so lange er lebt, aus dem Gehäuse seiner Immanenz ganz ausbrechen zu können?
Pantheisten, wie es in Wirklichkeit Ludwig Feuerbach und Ernst Bloch waren (auch wenn manche ihrer Anhänger sie als solche nicht sehen wollen), haben begründet, warum es nur den Weg der »immanenten Transzendenz« geben kann, z.B. den Weg der Entdeckung der Transzendenz in den ethischen Werken. In allen hohen ethischen Werten, der Liebe, der Wahrhaftigkeit, der Güte, der Gerechtigkeit, es echten Mitgefühls und Mitleidens usw. steckt ein Moment der Grenzüberschreitung, der grenzenlosen Bezogenheit auf alles Seiende, etwas Absolutes, eben eine dynamische Transzendenz im Unterschied zu einer substanziellen, wie es die Annahme eines persönlichen Gottes wäre. Auch die dynamische Transzendenz des Bewusstseins hat Feuerbach betreten: Nicht zum unendlichen Bewusstsein eines Gottes bekannte er sich, sondern zur Unendlichkeit des menschlichen Bewusstseins. Dieses ist zwar in jedem faktischen Moment begrenzt, aber eben potentiell grenzenlos, weil es als dynamische Transzendenz sein Wissen und Wesen durch immer weitere und neue Erkenntnisse, Erfahrungen, Erlebnisse und Handlungen bereichert. Es gibt tatsächlich nur diese Art von Transzendenz. Eine Transzendenz ohne Immanenz, lieber Papst, kann nur rhetorisch, homiletisch, dogmatisch oder abergläubisch-spinös behauptet werden, in der Realität kommt sie nicht vor! 7)
Aber hier in seiner Rede über den Pantheismus zeigt sich auch wieder das Janusgesicht dieses Papstes. Einerseits proklamiert er großspurig als Regel 9 in seinen »Glücksgeboten«: „Respektieren Sie andere Religionen!“ Andererseits zieht er spöttisch-verächtlich über die kosmische Spiritualität als Herzstück eines religiösen Pantheismus her, zeigt er keinerlei Achtung vor den großen Menschen und Denkern, die ihn vertreten haben. Diese Missachtung von Menschen bricht trotz aller zur Schau getragenen äußeren Liebenswürdigkeit dieses Papstes immer wieder mal bei ihm durch, so wenn er in einem Gespräch mit dem Jesuiten Spadaro zugibt, dass ihm bei manchen Priestern, Ordensfrauen oder Ordensmännern, die nicht ganz seinem Ideal vom Dienst an der Kirche zu entsprechen scheinen, sofort „in den Sinn kommt: ‚eingefleischter Junggeselle!’ oder ‚alte Jungfer!’“ 8) Dass dieser Diener und Dienerinnen der Kirche unter der Ideologie des Zölibatsgesetzes und der klösterlichen Keuschheit zu dem wurden, was der Papst so verächtlich charakterisiert, bedenkt dieser nicht, er wird diesen ideologischen Zwang auch nicht abschaffen.
Die Verurteilung des Pantheismus durch Papst Franziskus, deren Zeugen wir gerade geworden sind, erweist sich im Rahmen der vom Papst so zahlreich getätigten Sprüche als ein Schuss, der fatal nach hinten losgeht und seinen Urheber selbst trifft, ihn bei den wahrhaft Religiösen und Humanen dieser Welt entscheidend diskreditiert.

Hubertus Mynarek

Anmerkungen
1) Vom Papst ausgesprochen im Interview-Band von Rubin/Ambrogetti: Papst Franziskus, Mein Leben, mein Weg, El Jesuita, Freiburg 2013, 112.
2) Zitat nach P. Valley, Papst Franziskus, Darmstatt 2014, 188.
3) Zitat nach Rubin/Ambrogetti, a.a.O. 112.
4) A. Einstein, Mein Weltbild, hrsg. Von C. Seelig, Zürich 1953, 15f.
5) Ebd. 15f.
6) Zitat nach: https://www.welt.de/print/die_welt/article114455803/Wer-nicht-zu-Gott-betet-betet-zum-Teufel.html
7) Ausführlicher dazu: H. Mynarek, Die Neuen Atheisten, Essen 2010
8) Zitat nach: https://www.welt.de/politik/ausland/article120238110/Der-Beichtstuhl-ist-kein-Folterinstrument.html
Ausführlich und umfassend zum jetzigen Papst: H. Mynarek, Papst Franziskus. Die kritische Biographie, Marburg 2015, Tectum-Verlag (der inzwischen zum Nomos-Verlag gehört)

Erscheinungsdatum: 27.02.2018