Von Prof. Dr. Michael Kilian. Aus „Streiter im weltanschaulichen Minenfeld“ – Festschrift für Prof. Dr. Hubertus Mynarek, anlässlich dessen 80. Geburtstag 2009

Mynarek als „öffentlicher Mahner und öffentliches Gewissen“

„Wer könnte also hier Stellung nehmen als öffentlicher Mahner und öffentliches Gewissen? Martin Walser schweigt, Botho Strauß äußert sich kaum noch etwas öffentlich, nur Hans Magnus Enzensberger war nach langer Zeit wieder zur Finanzkrise zu hören, von Rolf Hochmuth gibt es kaum noch Stellungnahmen … Nachfolger bleiben aus: Frank Schirrmacher ist, wie gesagt, kein Ersatz; Stimmen aus der Soziologie sind willkommen, Zeitbildlieferanten auf einer ganz anderen Ebene, und seien sie noch so amüsant-subversiv wie Eckhard Henscheid, Max Goldt oder der unlängst verstorbene (und unerreichte) Robert Gernhardt, ersetzen keinen öffentlichen Moralisten vom Range eines Karl Kraus oder Kurt Tucholsky – oder eben Heinrich Böll. So bleibt dies Hubertus Mynarek vorbehalten, der allein in der Lage ist, mit seinem stupenden Wissen und seiner Sprachmächtigkeit zu wirken und damit die unerlässliche kritische Masse zu bilden, die ein Forum öffentlicher Auseinandersetzung in einer Demokratie so dringend benötigt – und dies seit vielen Jahrzehnten in einer Fülle von Publikationen. In einer Fülle und Breite, wie sie heute von keinem auf diese Weise mehr geleistet werden kann: von der Kirchen-, Papst- und Institutionenkritik, der Aufarbeitung des deutsch-polnischen Verhältnisses, den ethischen Fragen der modernen Naturwissenschaften bis hin zu Problemen der praktischen Lebensgestaltung und der Ethik. Es ist bezeichnend für unser rudimentäres Geistesleben, dass Mynarek nicht, seinem Rang gemäß von der Öffentlichkeit rezipiert und gewürdigt wird, sondern ein Tipp für Kenner bleibt. Dieses Schicksal teilt Mynarek mit anderen illustren Namen, die nicht ihrer Bedeutung gemäß gewürdigt wurden, so etwa mit Jean und Carl Améry, dem unerschrockenen und völlig unabhängigen Autor Albert Vigoleis Thelen, auch mit Günter Anders und mit zahlreichen anderen, denen man größten Einfluss gewünscht hätte oder wünscht.

Zu Mynareks Büchern „Herren und Knechte der Kirche“ und „Die Kunst zu sein“
„,Herren und Knechte der Kirche‘, nach einem Artikel im SPIEGEL über Mynarek, brachte den Verfasser auf die Spur des Autors. Das Buch gehört zu denjenigen, die es lohnen, alle paar Jahre wieder gelesen zu werden, vor allem von einem Hochschullehrer, wenn auch in einem anderen Wissenschaftszweig tätig.“
„Besonders hervorzuheben ist hier sein schönes Buch ,Die Kunst zu sein, Philosophie, Ethik und Ästhetik sinnerfüllten Lebens‘, 1989/1998, das jedem Studierenden, der in die Fänge des blinden globalen Strebertums mit seiner oft asozialen, auf Berechnung und Gier beruhenden Lebensplanung zu geraten droht, nur dringend empfohlen werden kann – und von mir meinen Studenten auch empfohlen wird.“

Zum Wertewandel und Werteverfall
„Die Zeit und ihr Wertewandel und vielfacher Wertezerfall schreit geradezu nach einem ,Geistesleben‘, wie es Friedrich Heer für die deutsche Gesellschaft seinerzeit einforderte: einem neuen ,Geistesleben‘. Die öffentlichen Mahner und Warner, welche die geistige Auseinandersetzung im Nachkriegsdeutschland einmal so fruchtbringend und wirkungsvoll begleiteten und nicht weniger als die Politik prägten, scheinen ausgestorben zu sein. Neue wachsen nicht mehr nach. Historisches Wissen, zumal zur deutschen Geschichte und ihren Abgründen, schwindet dramatisch. So ist es eine stete Beruhigung, dass so ein unerschrockener und geistig so unbestechlicher Kopf wie Hubertus Mynarek unter uns ist, und es ist unser Wunsch zur Feier seines achtzigsten Geburtstages, dass dies noch sehr lange so bleibt und er seine Stimme erheben kann. Themen gibt es genug. Dass er dies in unverwechselbarer Weise tut, davon kann man überzeugt sein.

Es ist vornehmlich Aufgabe der kritischen Öffentlichkeit in Sendungen und Medien, Diskussionsforen, Tagungen, Vorträgen, Büchern und Aufsätzen, Aufklärung in zeitgemäßer Form zu leisten – und sei es in Internetforen, welche noch am ehesten geeignet sind, die heutigen Studierenden zu erreichen. Wenn aber hierfür die couragierten, unerschrockenen, von jeder Zeitströmung und politischer Korrektheit unabhängigen Männer und Frauen nicht immer neu heranwachsen, trocknet diese kritische Öffentlichkeit aus und nimmt keinen Einfluss mehr. Wenn keine Bölls, Szczesnys und Mynareks mehr als Vorbilder wahrgenommen werden, wachsen auch keine Bölls, Szczesnys und Mynareks mehr nach. Die Geistesfreiheit stirbt langsam, Stück für Stück, der ,Sand im Getriebe‘ (Günter Eich) schwindet. Ein wesentliches und wirksames Gegenmittel hierfür ist es, und das haben alle Hochschulpädagogen mittlerweile erkannt, die Studierenden wieder zum kritischen Lesen zu bringen – und zwar auch außerhalb des eigenen Prüfungsfachs. Auch das Verhältnis von Staat und Kirche ist in vielen Punkten problematisch. Hier hineinzuleuchten ist das Verdienst Hubertus Mynareks, der sich wie kein anderer einer klaren Sprache bedient und Missverständnisse dieser nach wie vor allzu engen Symbiose von ,Thron und Altar‘ der ,hinkenden Trennung von Staat und Kirche‘ in Deutschland fast als Allein-Opposition annimmt. Hans Küng verkörpert hier nur einen schwachen Schatten solcherart Grundsatzkritik.“

Erscheinungsdatum: 17.04.2018