Der zeitgeistkonforme Papst und seine rückständige Dogmatik

In seinen Büchern und Schriften legt uns der Papst das naivste, fundamentalistischste, unkritischste, von jeglichem Zweifel unberührte Gottes-, Jesus-, Marien-, Kirchen- und Teufelsbild vor, das man sich nur denken kann, ja heute eigentlich gar nicht mehr denken darf, weil es eine kindlich simple Dogmatik ist, die schon der gewöhnliche Menschenverstand, noch mehr jede historisch-kritische Überlegung gar nicht anders als ablehnen muss. Man wundert sich, dass ein großer deutscher Verlag diese Bücher verlegt. Aber der handelt offensichtlich nach der Devise: „Papst geht immer“, egal, was in seinen Büchern steht.

Alles, was in den Evangelien, ja im gesamten Alten und Neuen Testament steht, schildert Bergoglio alias Franziskus I., als ob es sich wortwörtlich so zugetragen hat, als ob es die reine historische Wahrheit ist, an der kein Zweifel bestehen kann. Die Kirche, die Päpste, die Bischöfe geben nach ihm nur an das Volk der Gläubigen weiter, was von Gott durch den Heiligen Geist in den heiligen Büchern unfehlbar geoffenbart daliegt. Die Menschen sollen es lediglich ohne alle Bedenken gläubig ergreifen.

Was hat Jorge Mario Bergoglio bloß während seines Theologie-, insbesondere Bibelstudiums bei den Jesuiten getan? Sicher, die Jesuiten waren eifrigste Verfechter der Lehre der Kirche, waren der Orden, der am längsten an der Überzeugung des Aristoteles und des Ptolemäus festhielt, dass die Sonne sich um die Erde drehe. Aber sie haben schließlich dazugelernt, und man kann sich nicht vorstellen, dass nicht wenigstens der eine oder andere Bibelexeget unter den Jesuiten seinen Schülern etwas über die historisch-kritische Methode bei der Lektüre und Entschlüsselung alter Texte beigebracht hat. Hinkt die Theologie in Argentinien derart der europäischen Theologie hinterher, dass dort nicht mal zur Sprache kommt, was hier alle an einer theologischen Fakultät Studierenden bezüglich der Beurteilung alter Texte lernen müssen, obwohl auch sie es in ihrer Verkündigung dem Kirchenvolk nachher nicht so ungeschminkt sagen dürfen?

Sein Ordensbruder, der Jesuit Bernd Hagenkord, der eine Einführung zum Apostolischen Schreiben des Papstes „Evangelii gaudium“ (Die Freude des Evangeliums) verfasst hat, urteilt treffend: „Man braucht kein exegetisches Wissen, um nachzuvollziehen, was der Papst sagen will“. Nein, dieses für die Erforschung historischer Texte unentbehrliches Wissen braucht man bei der Lektüre der Schriften des Papstes Franziskus wahrlich nicht. Was man jedoch im Übermaß braucht, ist ein kindliches, um nicht zu sagen kindisches Herz, das dem Märchenerzähler und Mythenrezitierer Jorge Mario Bergoglio alias Franziskus I. im Fortgang seiner Ausführungen zu folgen bereit ist.

Dieser oberste Kirchenlehrer kennt keine Zweifel, keine Einwände, keine Bedenken. Es ist alles so, wie er es sagt: Jesus Christus ist die „Offenbarung des Vaters“, „der Offenbarer des Vaters“, „der endgültige Offenbarer des Gottesgeheimnisses ... Er verkündigt den Vater und bringt Kunde von ihm ... und sagt der Welt, was er von seinem Vater gehört hat“. Nun sollte man eigentlich annehmen, dass der Papst jetzt auspackt, dass er uns Unwissenden sagt, worin denn das Gottesgeheimnis besteht, das Gottes „eingeborener Sohn“ geoffenbart hat. Aber Fehlanzeige. Es bleibt beim Geheimnis, bei der Geheimhaltung. Das wäre ja noch schöner, wenn Christus und in seiner Nachfolge der Papst die Entschlüsselung des Geheimnisses uns so einfach auf den Tisch knallen würden. Nein, ein Geheimnis bleibt ein Geheimnis! Es genügt, dass Christus und Franziskus I. die Offenbarung des Geheimnisses kennen. Die anderen sind dessen gar nicht würdig. Schon Dostojewski hat in „Die Brüder Karamasow“ den Großinquisitor sagen lassen, dass die Kirche sich immer mit dem „großen Geheimnis“ schmücken müsse, denn nur der Umstand, dass sie die Leute glauben mache, sie wisse mehr als der ganze Rest der Menschheit, schaffe in diesen die Basis für Ehrfurcht, Respekt, Bewunderung, Angst und Untertanengeist.

Irgendwie spürt aber Franziskus, dass intelligente Menschen nun einmal Fragen stellen und Antworten erhalten wollen. Zugeben, dass auch er im Grunde nichts weiß, keine Antwort auf die Frage nach dem „Gottesgeheimnis“ parat hat, kann er, dem als Papst doch angeblich das Privileg der Unfehlbarkeit zusteht, ja nicht. Also wird der Liebenswürdige, Gütige, Bescheidene jetzt doch etwas unwirsch.

Diejenigen, so der Papst, die das Geheimnis Gottes nicht kennen, seien doch selbst schuld. Denn, so erklärt er ganz fundamentalistisch-dogmatisch, „als Offenbarer Gottes erleuchtet Jesus Christus jeden Menschen“. Wenn also einer das Geheimnis Gottes nicht kennt, dann fehlt ihm „das Licht der Menschen“, das Jesus Christus selbst ist. „Die Gegenwart Jesu bewirkt, dass die Finsternis weicht und das wahre Licht leuchtet.“ Doch die Neunmalklugen lehnen Gott und Christus ab, weil sich in ihnen „das Drama der Abkehr vom Licht“ vollzieht, sie lehnen dieses Licht ab, „weil seine Verkündigung anders ausfällt als erwartet, andere Maßstäbe aufstellt, als man sich das vorgestellt hatte“.

Deswegen wendet sich Jesus im Evangelium, aber auch der Papst an die »Armen im Geiste«, die deren Verkündigung einfach, ohne zu fragen, demütig annehmen. „Deshalb wird die Fülle der Zeiten“ (wieder so ein hohl-pathetischer Begriff!) „und die Fülle der Botschaft Gottes eben jenen verkündet, die, rein menschlich betrachtet, wenig Fülle vorzuweisen haben: einfachen Leuten, solchen, die demütig die Gebote halten (Joh 14,21) armen Fischern (vgl. Mt 5,3) – ihnen schenkt Jesus jene Kenntnis des Vaters, die allein der Sohn offenbaren kann (Mt 11,27)“. Mit Jesus, dem diese Worte möglicherweise aber auch erst vom Evangelisten zugeschrieben wurden, preist auch der Papst „dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Klugen verborgen, Unmündigen aber offenbart hast (Lk 10,21f)“.

Über das „Gottesgeheimnis“, die Fragen der Existenz und Essenz Gottes hat uns der Papst Franziskus also gar nichts mitgeteilt, obwohl er noch ohne irgendeine Begründung hinzufügt, dass Gott dreifaltig ist, was wir allerdings ohne das Licht Christi auch nicht zu erkennen vermögen. Dass Gott dreifaltig, d. h. eine göttliche Substanz in drei Personen sein soll, macht das Gottesgeheimnis allerdings nur noch größer, absurder, irrationaler. Schon beim Theologiestudium und im Priesterseminar zerbrachen wir Alumnen uns die Köpfe über die „höhere Logik“ bzw. Mathematik, nach der in der göttlichen Dimension eins gleich drei sein soll. Andere monotheistische Religionen haben damit keinerlei Schwierigkeiten. Sie erklären kurz und bündig, dass das Christentum, soweit es den Trinitätsglauben vertritt, im Grunde ein Polytheismus, eine Vielgötterei sei.

Aber noch etwas ist hier bemerkenswert: In seinem keinerlei Zweifel kennenden Fundamentalismus und Dogmatismus macht Papst Franziskus sogar den jüdischen Monotheisten Jesus zum Lügner, denn er behauptet ja, dass „Jesus Christus ... Offenbarer des Geheimnisses der Dreifaltigkeit Gottes ist“, während der doch an der Entstehung dieses Irrglaubens, an dessen Konstruktion die Kirche jahrhundertelang herumgebastelt hat, keine Schuld trägt. Dass es drei Jahrhunderte dauerte, bis die Kirche Jesus die dogmatische Ehre erteilte, die zweite Person der Gottheit zu sein, und noch viel mehr Zeit verging, bis der Heilige Geist in diese göttliche Konstellation aufgenommen wurde – das alles unterschlägt der Bergoglio-Papst, oder sollte er das wirklich nicht wissen und bei den Vorlesungen im Fach Dogmengeschichte geschlafen haben?

In all seinen Schriften legt uns Bergoglio eine kritiklose kirchliche Dogmatik vor, die er allerdings sprachlich nochmals heruntergestuft hat, damit das einfache Kirchenmitglied die Worte versteht. Obwohl er diese Dogmatik in seinen Publikationen mit gläubiger Begeisterung unter Einbringung vieler einfacher Gleichnisse und persönlicher Begebenheiten vehement vertritt und obwohl er mit Sicherheit keine Koryphäe der Theologie, der Philologie, der Exegese ist, scheint dieser clevere Taktiker, Praktiker, Missionar und Diplomat sich dennoch bewusst zu sein, dass die Masse derer, die ihm auf öffentlichen Plätzen zu Hunderttausenden zujubeln, mit den kirchlichen Lehren und deren den Verstand beleidigenden Dogmen im Grunde nicht viel anzufangen weiß.

Konsequenz: Er verkündet diese Lehren bei seinen Begegnungen mit den Menschenmassen erst gar nicht, stellt vielmehr seine Person mit ihrer Liebenswürdigkeit, Sympathie, Güte, Herablassung zu den Armen, seinen Küssen, Umarmungen auch Kranker und vom Tode Gezeichneter in den Mittelpunkt, schlau nach der Devise: Wenn sie mich nur akzeptieren und verehren, werden sie ohne weiteres und ohne Bedenken auch meinen Glauben, meine Lehren übernehmen, selbst wenn sie diese nicht kennen und im Grunde gar nicht kennenlernen wollen, sozusagen implizit: diesem glaub- und liebenswürdigen Vertreter kaufen wir alles ab, auch das, was wir eigentlich gar nicht brauchen. Die Masse wird so auf die simpelste Weise an der Stange gehalten! Der Papst als Kultfigur!

Bezeichnend und das oben Gesagte bestätigend: Bei einer Audienz fragen einige konservative Priester den Papst, warum er bei seinen öffentlichen Auftritten so selten die katholische Dogmatik ins Spiel bringe. Seine Antwort: „Gemach, gemach, das kommt alles später!“ Die ahnungslosen Frager haben gar nicht erkannt, dass Papst Franziskus absolut kirchenkonform ist, absolut auf der Linie der jahrhundertelang geübten Strategie der Amtskirche liegt, wonach die Massen nicht aufgeklärt, sondern geführt werden sollen. „Selig, die nicht sehen und doch glauben“ heißt es doch auch im Johannesevangelium (20,29).

Der Bergoglio-Papst weiß ganz genau: Trotz einiger entsprechend herausposaunter Startheologen wie Paulus, Augustinus, Thomas von Aquin, Rahner, Ratzinger usw. ist das Christentum, zumindest in seiner kirchlichen Gestalt, eine Religion der Masse, der Herde, der Schafe, deren Herren nicht ohne Grund Oberhirten heißen. Ohne Masse keine Macht! Die glanzvoll glitzernden und funkelnden Theologen sind nur die wahren Ziele der Kirche verschleierndes und vernebelndes Beiwerk!

Was glaubt also der Papst? Ob er an die Dogmen der Kirche, die er in seinen Schriften so ausführlich und eifrig darlegt, wirklich glaubt, kann hier dahingestellt bleiben, obwohl es unglaublich, zumindest kaum glaubhaft ist, dass ein ansonsten realistischer und normal denkender Mensch dieses Sammelsurium unmöglicher Dinge wie Geburt Jesu aus einer vom Heiligen Geist befruchteten Jungfrau, Dreifaltigkeit Gottes, Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut des Gottessohnes, Himmelfahrt Jesu und Mariae usw. zu glauben vermag.

Woran aber Papst Franziskus m. E. mit Sicherheit glaubt, ist, dass seine Strategie der Gewinnung der Massen ohne alle dogmatischen Vorgaben und Vorbedingungen, allein durch die Methode einer von seiner Person ausgehenden grenzenlosen Liebenswürdigkeit, zum Ziel führt, das darin besteht, dass sie danach auch ohne weiteres alle Dogmen, Gebote und Verbote der Kirche wenigstens in nuce akzeptieren und sich der Oberherrschaft des Papstes unterwerfen werden.

Mehr zu Person, Charakter, Auffassungen und kuriosen Aussagen des Papstes in Mynareks Buch:

Papst Franziskus – Die kritische Biografie
Tectum Verlag / Marburg (jetzt Nomos-Verlag), 2016 (ISBN 978-3-8288-3583-2)

Erscheinungsdatum: 07.09.2018