„Der Fall Mynarek“ (Interview mit Dr. Michael Schmidt-Salomon in MIZ)
„Der Religionswissenschaftler, Philosoph und Theologe Prof. Dr. Hubertus Mynarek zählt unbestritten zu den prominentesten Religions- und Kirchenkritikern im deutschsprachigen Raum. Mynarek, der 1953 zum Priester geweiht wurde, von 1966-68 als Professor für Religionsphilosophie in Bamberg und von 1968-72 als Professor für Religionswissenschaft in Wien unterrichtete, war von 1971-72 Dekan der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. Seine universitäre Karriere endete abrupt, als er im November 1972 (als erster deutschsprachiger Theologieprofessor überhaupt) aus der Kirche austrat, ein Schritt, den er in einem scharf formulierten „Offenen Brief an den Papst“ ausführlich begründete. Nachdem ihm die kirchliche Lehrbefugnis entzogen wurde, hatte der österreichische Staat keine Verwendung mehr für den Gelehrten. So wurde Mynarek schon mit 43 Jahren pensioniert.
Intellektuell kaltstellen ließ er sich jedoch nicht. Er veröffentlichte zahlreiche aufsehenerregende Bücher, in denen er sich mehr und mehr nicht nur von der Kirche, sondern auch vom Christentum und seiner zentralen Gestalt, Jesus von Nazareth, distanzierte. Vor allem die Bücher Herren und Knechte der Kirche (1973) und Eros und Klerus (1978) verschärften die Konfrontation mit der Amtskirche, die den Kampf gegen Mynarek so verbissen führte, dass dieser eine Zeit lang um seine ökonomische Existenz bangen musste.
Mynarek ließ sich jedoch nicht einschüchtern. Im Gegenteil: Im Laufe der Jahre avancierte er vom christlich geprägten Kirchenkritiker zum fundamentalen Religionskritiker, was sich vor allem in den Werken Denkverbot. Fundamentalismus in Christentum und Islam und Jesus und die Frauen niedergeschlagen hat. Insbesondere das letztgenannte Buch zeigt auf, wie naiv und unberechtigt der häufig verwendete Slogan „Jesus ja, Kirche nein“ ist. Das Buch zählt sicherlich zu den klarsten, spannendsten und auch humorvollsten Darstellungen der zutiefst widersprüchlichen Gestalt des biblischen Jesus. Es ist einerseits das dringend notwendige Gegengift zu den modischen, jedoch intellektuell unredlichen Versuchen, die biblische Jesusgestalt feministisch aufzupolieren, andererseits aber auch ein hervorragender Beleg für die beinahe tragisch-komische Bodenlosigkeit „christlicher Moralvorstellungen“. Mynarek weist nämlich nach, dass der vermeintlich keusche „Messias“ mit großer Wahrscheinlichkeit der (für Hirtenkulturen typischen) polygamen Tradition folgte, sich also – dem Vorbild Davids und Salomos entsprechend – einen Harem liebeswilliger Damen zulegte. Ein Szenario, das christlichen Keuschheitspredigern sicherlich kaum gefallen wird. Dementsprechend erfährt Mynarek von kirchlicher Seite scharfe Ablehnung.
Aber auch in der religionskritischen Szene ist Mynarek heftig umstritten. Für viele war es unverständlich, warum er sein Buch Die Neue Inquisition. Sektenjagd in Deutschland ausgerechnet im Verlag Das Weiße Pferd, dem Hausverlag des Universellen Lebens, veröffentlichte. Gravierender ist sicherlich Mynareks unklares Verhältnis zur Religiosität. Naturreligiöse Vorstellungen, wie sie in Ökologische Religion. Ein neues Verständnis der Natur (1986) und seitdem in diversen Aufsätzen formuliert werden, warfen die Frage nach der Abgrenzung gegenüber organizistischen Gesellschaftsmodellen und der naturorientierten Spiritualität der Rechten auf; einige KritikerInnen wollten in dem Werk sogar faschistoide Züge erkennen.
Auch innerhalb der MIZ-Redaktion wurde durchaus kontrovers diskutiert, ob es richtig ist, Hubertus Mynarek in der MIZ ein Forum zu bieten. Sein Naturverständnis kann – selbst wenn es nicht intendiert sein mag, was wir gerne unterstellen – reaktionären Auslegungen Vorschub leisten. Andererseits halten wir die Kenntnisse des Kirchenkritikers Mynarek für zu wichtig, um sie einfach zu übergehen. Und bei aller Kritik gestehen wir Mynarek das Recht auf eine faire Auseinandersetzung zu. Das engstirnige Beharren auf „Political Correctness“ schafft Scheren im Kopf, die in der Lage sind, Geistesfreiheit nachhaltig zu beschneiden. Dem möchte die MIZ-Redaktion entgegenwirken.
MIZ: „Herr Prof. Mynarek, können Sie kurz das Hauptanliegen Ihres Buches Die Neue Inquisition schildern?
Mynarek: Das Hauptanliegen ist die Verteidigung religiöser und weltanschaulicher Minderheiten in Deutschland. Es geht dabei gar nicht in erster Linie um die Wahrheitsfrage, d.h. um die Frage, ob die neuen religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften eine wahre Lehre repräsentieren, denn diesen Anspruch, die wahre Religion zu sein, können ja auch die beiden Großkirchen nicht erfüllen, auch wenn sie wie die katholische die Unfehlbarkeit dogmatisch für sich deklarieren. Nein, ich halte mich da sinngemäß an Voltaires berühmten Satz, er werde für die Position seines weltanschaulichen Gegners kämpfen, auch wenn er sie nicht für richtig halte, um die Denk- und Meinungsfreiheit im Staat zu gewährleisten. [...]
Mein Buch behandelt die durchaus cleveren, ja raffinierten Strategien und Methoden der neuen Inquisitoren, sprich der Sektenbeauftragten, die darauf abzielen, alle nichtkirchlichen Gruppierungen der totalen sozialen Ächtung anheim fallen zu lassen. Man stelle sich nur vor, wie der gesamte Medienwald aufheulen würde, wenn in den Sekten derart häufig und massiv sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen getrieben würde, wie dies durch Priester der beiden Großkirchen immer wieder geschieht.
MIZ: Warum mussten Sie denn Ihr Buch Die Neue Inquisition ausgerechnet im Verlag des Universellen Lebens veröffentlichen?
Mynarek: Nun, ich habe nicht von vornherein vorgehabt, das Buch in diesem Verlag herauszubringen. Knapp 30 Verlagen habe ich mein Manuskript bzw. ein ausführliches Exposé vorgelegt. Aber die Verlags- und Medienlandschaft in Deutschland folgt doch weitgehend den staatskirchlichen Vorgaben, so dass ich nur Absagen erhielt. Prominente Religions- und Kirchenkritiker, denen ich mein Manuskript vorlegte, bestärkten mich aber darin, dass der Grund für diese Absagen keineswegs an der Qualität meines Manuskripts liege, sondern in der politisch-religiösen Konstellation, d.h. dem prostitutiven Verhältnis, das wir in Deutschland zwischen Staat und Kirche haben. Ich war schon fast verzweifelt, da boten mir Vertreten des UL, die einen Vortrag von mir gehört hatten, der sich auch mit dem Schicksal meines unveröffentlichten Manuskripts befasste, an, dieses zu drucken. [...]
MIZ: Bedauern Sie mittlerweile Ihre Verlagswahl?
Mynarek: Nun, ich möchte nicht undankbar sein. Ohne diesen Verlag und seinen hohen Kostenaufwand wäre das Buch möglicherweise immer noch nicht veröffentlicht. [...] Andererseits habe ich natürlich nicht mit den ungeheuerlichen Angriffen gerechnet, die ich wegen der Veröffentlichung meines Buches in einem Verlag des UL (es ist übrigens nicht der Hauptverlag desselben) erleben musste und die bis hin zum Faschismus-Vorwurf reichten. Zwar hat sich das UL nie mit Faschismus und Antisemitismus befleckt (die Kirchen sehr wohl und massiv!), aber einige kirchliche Sektenbeauftragte und ihre Helfershelfer in diversen Presseorganen vermögen inzwischen mit der Faschismuskeule ebenso geschickt wie mit der Sektenkeule zu schwingen. Auf diese Weise begibt man sich in Deutschland auf eleganteste Weise der Notwendigkeit, logisch und objektiv gegen jemanden zu argumentieren. Angesichts all dessen bedaure ich natürlich meine Verlagswahl, weil sie mir viele neue Feinde eingebracht hat, die gar nicht mal bösen Willens sein müssen, sondern lediglich die Schablone „Kirchen ja – Sekten nein“ undifferenziert und unreflektiert übernehmen. [...]
MIZ: Sie haben für das Universelle Leben unter anderem auch Gutachten erstellt. Was halten Sie persönlich von den Offenbarungen der Gabriele Wittek?
Mynarek: Ja, es stimmt: Ich habe in meiner Eigenschaft als Religionswissenschaftler ein Gutachten für das Gericht erstellt, in welchem ich nachwies, dass das UL genau das gleiche Recht auf eine eigene Schule haben müsse wie die Kirchen. [...] Das Gutachten war allerdings keineswegs ein Gefälligkeitsgutachten. Ich zeigte durchaus so manchen Irrationalismus in der Lehre des UL auf, verwies aber darauf, dass die Irrationalismen und Absurditäten der kirchlichen Dogmatik ersteren noch weit übertreffen.
Was halte ich nun von den Offenbarungen der Gabriele Wittek? Dazu muss ich sagen: Ich bin aufgrund eingehenden Studiums vieler Denksysteme zum Agnostiker geworden. Diese meine Überzeugung kann auch die Prophetin des UL nicht erschüttern. Man sollte sie aber wegen ihrer „unfehlbaren Eingebungen aus dem Jenseits“ nicht ungerechter behandeln als den Papst, der das Gleiche behauptet, wobei sich der Papst als einziger Guru einer religiösen Institution diese Unfehlbarkeit noch dogmatisieren ließ. Ich muss noch hinzufügen, dass ich in meinem Buch Denkverbot alle Unfehlbarkeiten, alle Offenbarungen aus angeblich metaphysischen Höhen als Inspirationen, Intuitionen, Projektionen und dergleichen mehr kritisiere. Dem UL war dieser Standpunkt bekannt, trotzdem war man dort so tolerant, mir keine Vorbedingungen in Bezug auf mein Buch Die Neue Inquisition zu stellen. Das wäre bei den Kirchen unmöglich gewesen! [...]
MIZ: Auch Ihr Buch Ökologische Religion ist auf scharfe Kritik gestoßen. Können Sie nachvollziehen, warum einige Rezensenten in Ihren Darlegungen reaktionäres Gedankengut zu erkennen glaubten?
Mynarek: Reaktionäres Gedankengut ist in meinem Buch Ökologische Religion überhaupt nicht enthalten. Es ist auch keine neuheidnische Schwärmerei für die Natur, wohl aber liefert es eine Unmenge naturwissenschaftlicher, ökologischer, psychologischer und anthropologischer Argumente für die Rettung der Natur auf unserem Planeten und für die Achtung und Anerkennung der Werte und Rechte der Tiere und Pflanzen. [...] Interessanterweise hat mein Buch in fast allen Lagern heftige Gegner gefunden. [...] Manche Atheisten, vor allem marxistischer Prägung, wollten in meiner Erweiterung des Naturbegriffs, in dem Umstand, dass ich die Natur nicht nur in ihrem grausamen Daseinskampf, sondern in ihren ästhetischen, kommunikativen, symbiotischen, bewusstseinsmäßigen etc. Aspekten sehe und bewundere, nicht nur neuheidnische Schwärmerei, sondern sogar faschistoide Elemente erblicken. Sie kennen ihren Marx nicht, der an zahlreichen Stellen seiner Werke geradezu überschwängliche Hymnen auf die Natur singt. [...]
MIZ: Kommen wir nun zur katholischen Kirche und ihrem Umgang mit Kritik. Als Sie sich 1972 als Dekan der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien entschlossen haben, aus der Kirche auszutreten, haben Sie da zu diesem Zeitpunkt die heftige Gegenreaktion der Amtskirche vorausgesehen?
Mynarek: Natürlich habe ich aufgrund der gesamten Kirchengeschichte der letzten zwei Jahrtausende gewusst: die Kirche verfolgt alles, was ihren Machtinteressen zuwiderläuft, verträgt selbst aber keinerlei Kritik, und sei diese noch so angebracht. Trotzdem war ich doch über die massiv-brutale Reaktion der Kirche auf meinen Kirchenaustritt, meinen Offenen Brief an den Papst und mein die inneren kirchlichen Zustände beschreibendes Buch Herren und Knechte der Kirche überrascht. Diese unangemessene Gegenreaktion der Kirche hing auch damit zusammen, dass ich der erste Universitätsprofessor der katholischen Theologie im deutschsprachigen Raum des 20. Jahrhunderts war, der der Kirche den Rücken kehrte. [...]
MIZ: Ihre Kritik brachte Sie ja auch in eine ökonomisch schwierige Lage. Einige Zeit standen Sie regelrecht auf der Straße. Wie kam es dazu? Was waren Ihre schlimmsten Erfahrungen während dieser Zeit?
Mynarek: Das Erste, was mir nach der Veröffentlichung meines offenen, zugegeben sehr kritischen Briefes an den Papst in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften passierte, waren durchgestochene Reifen an meinem in der Nähe der Wiener Uni stehenden Wagen. Das wiederholte sich dann noch einige Male. Das Zweite war die Demontage meines Autos auf der Autobahn Wien-Salzburg. Die Bremsen funktionierten nicht mehr, fast alle Schrauben im Motorraum des Wagens waren gelockert. Ich bedaure, dass ich es mir von der Reparaturwerkstatt, die mich abschleppte, nicht schriftlich geben ließ, denn der Reparateur staunte Bauklötze und wiederholte nur immer: „Das ist ein wahres Wunder, dass Sie noch am Leben sind. Welcher Schweinehund macht nur so etwas?!“ Etwas Ähnliches wiederholte sich noch einmal auf meiner Fahrt von München nach Würzburg. Morddrohungen am Telefon bekam ich jeden Tag, übrigens schimpflicherweise auch meine Frau in meiner Abwesenheit, die ja nun an meinem Kirchenaustritt völlig schuldlos war, weil ich nicht wegen einer Frau, sondern wegen der unmenschlichen Machtstrukturen der Kirche ausgetreten war. [...]
Hinzu kamen dann weitere negative Konsequenzen. Ich verlor aufgrund des Konkordats zwischen dem Vatikan und Österreich meinen Lehrstuhl an der Uni Wien, obwohl einer der berühmtesten Rechtsgelehrten Österreichs gegenüber der Zeitschrift Profil erklärt hatte: „Wenn der österreichische Staat einen Wissenschaftler vom Range Mynareks nur wegen dessen Kirchenaustritt zwangspensioniert, dann ist das Konkordat in diesem Punkt verfassungswidrig.“
MIZ: 1973 erschien dann Ihr Buch Herren und Knechte der Kirche bei Kiepenheuer und Witsch...
Mynarek: Ja, nachdem der Bertelsmann-Konzern unter dem Druck der Kirche vom bereits geschlossenen Buch-Vertrag mit mir zurückgetreten war, obwohl er ursprünglich mein Manuskript voll akzeptiert hatte. In der Interimszeit – Bertelsmann hatte den Vertrag bereits gebrochen, aber die Kirche wusste nicht, dass ich bereits einen neuen Verlag hatte – kam ein Delegierter des Münchener Kardinals Döpfner und erklärte mir: „Sie erhalten sofort wieder einen Lehrstuhl, wenn Sie das Buch nicht herausgeben und in den Schoß der Kirche zurückkehren. Wenn Sie das nicht tun, dann werden wir Sie mit 30 und mehr Gerichtsprozessen überziehen und dann werden Sie, im Rinnstein liegend, um die Gnade winseln, von der Kirche wieder aufgenommen zu werden. Denn Scheiterhaufen brennen nicht mehr, aber wir können auch heute noch Menschen finanziell vernichten.“
MIZ: Es blieb nicht bei der Drohung...
Mynarek: Nein, nach der Veröffentlichung des Buches und den einstweiligen Verfügungen, die die Kirche gegen es erwirkte, wurden zwar nicht 30, aber immerhin 14 Prozesse gegen mich geführt, in denen die Kirchenfürsten, die sich durch mein Buch beleidigt fühlten, Schmerzensgelder von insgesamt 360.000 DM forderten und vom Gericht auch bewilligt bekamen. Als der Bertelsmann-Konzern sah, wie die Prozesse vor dem LG und OLG München wie geschmiert zu meinen Ungunsten liefen, schaltete auch er sich ein und verlangte plötzlich meinen Honorarvorschuss nebst 13,9 % Zinsen zurück. [...] Insgesamt dauerten die Prozesse sechs Jahre lang und waren die schwerste Belastung meines Lebens. Auch einige von meinen eigenen Anwälten, die zunächst hoch erfreut waren, einen so sensationellen Fall in ihre Hände zu bekommen, kannten später, als ich keinen Pfennig mehr hatte, keine Gnade und pfändeten bei mir munter drauf los. Als man mir die letzte Schreibmaschine wegtrug und ich das Amtsgericht Kitzingen, wo mein Haus stand, darauf hinwies, dass ich als Schriftsteller auf die Schreibmaschine angewiesen sei, erklärte mir dieses: „Kirchenkritische Arbeiten können Sie auch mit der Hand schreiben.“
Angesichts der enormen finanziellen Verluste konnte ich auch mein Haus in Kitzingen nicht mehr behalten. Zwar hatte mir der Direktor einer bayerischen Bank eine Hypothek versprochen, die es mir gestattet hätte, das Haus zu halten. Aber unter dem Druck der Kirche erklärte er mir später, er habe nicht gewusst, dass ich so gefährlich lebe und mich mit der Kirche anlege, er müsse also die Hypothek-Zusage zurückziehen. Ich stand also mit meiner Frau und unserem hinzugekommenen Baby praktisch auf der Straße.
MIZ: Papst Johannes Paul II. hat sich vor kurzem symbolisch für die „Sünden und Verfehlungen“ der katholischen Kirche entschuldigt. Was halten Sie von dieser Aktion? Handelt es sich um einen gut kalkulierten PR-Gag, um einen billigen Versuch, das eigene schlechte Gewissen zu beruhigen, oder um ein ernst gemeintes Unterfangen, die kirchliche Vergangenheit aufzubereiten, um aus ihr für die Zukunft zu lernen?
Mynarek: Es handelt sich nach meiner ehrlichen Überzeugung nur um einen gut kalkulierten PR-Gag. Dieser Papst hat in seiner ganzen Amtszeit seit seiner Wahl 1978 praktisch nichts anderes getan als solche PR-Gags auf all seinen Reisen durch die Welt. Den Herren der Kirche fehlt jedes Unrechtsbewusstsein, jedes Mitfühlen mit den Leidenden dieser Welt. Nie hat das Papsttum, nie der Vatikan irgendeine Spende für die durch Katastrophen – Erdbeben, Überschwemmungen etc. – Geschädigten aufgewendet. Er ruft das kirchliche Fußvolk und die Regierungen zu Spenden auf, er selbst spendet keine müde Mark. Stattdessen mischt er als Großaktionär in allen möglichen internationalen Konzernen mit, und zwar ohne Rücksicht auf die moralische Qualität dieser Konzerne, also auch in Rüstungsfirmen, Tierversuchsfarmen, Gen-Labors etc. pp. [...]
MIZ: Michael Schmidt-Salomon hat in einer früheren Ausgabe der MIZ geschrieben, das Christentum sei zwar theoretisch widerlegt, aber (weltweit gesehen) alles andere als erledigt. Was halten Sie von dieser Einschätzung? Welche Zukunft geben Sie dem christlichen Glauben?
Mynarek: Auch ich bin der Meinung, dass Jesus, wenn er denn gelebt hat, ein galiläischer Wanderprediger war, der gar nicht daran dachte, seine jüdische Religion zu verlassen oder gar eine neue zu gründen. [...] Dinge wie die Geburt aus einer Jungfrau, die Erbsündenlehre, der Tod Jesu am Kreuz zur Tilgung der Sünden der Menschheit oder die Einsetzung eines kannibalistischen Abendmahls, in dem das Blut und der Leib der Gottheit genossen wird, wären dem Juden Jesus nicht mal im Traum eingefallen. Insofern schwebt das Christentum in der Luft, es hat keine Grundlage in der wirklichen Geschichte, zumindest nicht die, die die Kirchen und gewisse sich christlich nennende Parteien behaupten und proklamieren.
Aber das Kuriose ist: Der enorme Glaubwürdigkeitsverlust des Christentums und der Kirchen seit der Aufklärung ändert nicht automatisch etwas an den real-existierenden Machtverhältnissen. Das real-existierende, also das als Kirche existierende Christentum ist universales und totalitäres Machtstreben unter dem Vorwand der Religiosität. Und Macht ist Geld! Solange die Kirchen in Deutschland 18 Milliarden durch die staatlich eingezogene Kirchensteuer und weitere mindestens 14 Milliarden aufgrund diverser Privilegien vom Staat geschenkt bekommen, wird sich an diesen Machtverhältnissen kaum etwas ändern, können die Kirchen mit diesem Geld alle wichtigen Zweige und Institutionen des öffentlichen Lebens schmieren, massiv beeinflussen und unterwandern.
MIZ: Herr Professor Mynarek, wir danken Ihnen für das Gespräch.